Der Pausentag in Ulrichen hat unheimlich gut getan. Ich bin fast den ganzen Tag im Bett geblieben und habe getextet. Die Blogposts schreibe ich total gerne, aber die kurze englische Version auf Instagram bereitet mir immer viel Mühe. Erstens ist es auf Englisch nicht so flüssig und zweitens ist es schwierig in einem begrenzten Textfeld nur die wichtigsten Infos unterzubringen.
Da ich ein Mensch bin, der sich für alles Ziele setzt hatte ich mir – nachdem ich es tatsächlich geschafft habe, mich zu überwinden überhaupt einen 100%-igen Pausentag zu machen – vorgenommen, nicht mehr als 2000 Schritte zu machen. Deshalb habe ich am Tag davor im Volg noch Food-Nachschub eingekauft. Ansonsten gibt’s vom Pausentag nicht viel zu erzählen. Ich hab alles gewaschen, Powerbank, GPS, Uhr, Tolino und Tastatur geladen, den Kocher geputzt, Karten geschrieben und telefoniert. Das Kriterium an mein Hotelzimmer war ja, dass es einen TV hat und so habe ich Chips gegessen und das Supertalent (würde ich sonst nie schauen) gesehen.
Am Montag ging es wieder los und ich freute mich richtig. Allgemein kann ich sagen, dass ich davor recht gut in den Wanderflow reingekommen bin. Es macht mir grossen Spass und ich bekomme aus meinem Umfeld auf jede mögliche Art und Weise grosse Unterstützung. Doch als ich an diesem Tag wieder loslief, ging es nur mühsam vorwärts. Noch bevor ich aus dem Dorf rauslief, hielten mich Mitarbeitende der Forstwortschaft Goms auf. „Wo willst du hin?“ Das Spiel kenne ich nun ja, dass mir dann jeder sagt, dort hat‘s noch Schnee, das geht nicht. Dachte ich zumindest. Aber nein, die beiden Männer teilten mir mit, dass der Weg zum Cornopass wegen einem möglichen Bergsturz gesperrt war – dies aber erst in den kommenden Tagen signalisiert wird. Einer der beiden erklärte mir deshalb den Alternativweg. Dieser entpuppte sich als massiven Umweg (mit extrem unnötigen 200hm auf und ab), den ich mir mit ca. 400m auf der Strasse hätte sparen können. Gemerkt habe ich das jedoch zu spät. Schon offensichtlich genervt bin ich weiter den Alternativweg gelaufen. Dieser wurde wegen des Schnees im steilen Gelände super mühsam. So kam es, dass ich recht doofe Stellen passieren musste. Als ich wieder auf den Weg steigen wollte und auf einen grossen Steinbrocken stand, kippte dieser und ich fiel hin und brach mir auch noch meinen Wanderstock. Total genervt lief ich weiter bis zur Cornogriesshütte. Da das Wetter nicht so gut war, meine Füsse schon längst im ON-Swimmingpool schwammen und ich einfach allgemein keinen guten Tag hatte (musste auch nach 20 Minuten laufen Wasser ausleeren, da mir der Rucksack so schwer vorkam) überlegte ich, im Winterraum zu schlafen. Ich habe diesen dann besichtigt und kurz gecheckt, wie sich das Wetter entwickelt. Da es einer der schönsten Tage sein sollte, entschied ich mich eine weitere Etappe an diesem Tag in Angriff zu nehmen. So lief ich über denn San Giacomo Pass nach Italien und von Italien über den nächsten Pass wieder ins Tessin.
Der letzte Pass (Bochetta di Valle Maggia) war auf über 2600 Metern und es lag noch viel Schnee. Auf der anderen Seite des Passes bin ich runtergerutscht und habe wieder Steinböcke entdeckt. Beim Runtersliden im absolut harmlosen Gelände verlor ich das Gleichgewicht und schlittelte auf dem Hosenboden bis ca. 5 Meter vor die perplexen Steinböcke. Die schauten mich sehr irritiert an – das war lustig. Gemäss den Spuren, war ich so ziemlich die erste, die sich in dieses Gebiet „verirrte“. Dann ging es zackig weiter, denn mein Ziel war die Capanna Basodina. Wer gerne Steinböcke sehen möchte, der sollte sich den Namen dieser Hütte aufschreiben! Ich kam an und da waren nochmals zwei Gruppen mit ca. 20 Steinböcken. Aber kein Wunder, denn die Hüttencrew muss offenschtlich Salz verteilt haben. Jedenfalls kamen die Steinböcke bis auf die Terrasse der Hütte. Da ich erst nach 21.00 Uhr ankam, fragte ich sofort nach, ob ich dort schlafen dürfe. Habe eigentlich damit gerechnet, dass nur der Winterraum geöffnet hat. Umso mehr freute ich mich und buchte gleich Frühstück dazu. Mein Vorsatz: Wenn ich ultra lange Etappen laufe und spät ankomme, gehe ich in eine Hütte. So spare ich mir das Zelt auf- und abbauen.
Der nächste Tag war dann vom Wetter her doch schöner als ursprünglich gemeldet. Im Schneckentempo (steckte den Vortag mit 39km und drei Pässen nicht so einfach weg) lief ich ins Tal und kam so richtig ins Tessin-Feeling. Überall diese herzigen kleinen Dörfli mit den Steinhäusern im Valle Maggia. Bei Foroglio gabs einen schönen Wasserfall und ein tolles Grotto, wo ich mir Pizzoccheri gönnte.
Danach ging es weiter nach Fontana. Nach einem erneuten Wettercheck, entschied ich mich bereits heute den bisher steilsten Anstieg zu meistern, welcher erst für den nächsten Tag geplant war – denn dann sollte es durchregnen. Die Idee entpuppte sich als mittelmässig gut. Denn der Anstieg war so super steil und ich startete erst um 15.30 Uhr. Am Anfang hatte ich konditionell etwas Mühe und um 19.00 Uhr – ich war mitten in der Feslwand – begann es heftig zu regnen. Der Weg war mir im Regen nicht ganz geheuer und ich machte eine Pause. Das Zelt hätte ich nirgends aufstellen können, so steil war es. Ich hatte also keine Wahl und musste weiter. Der Weg war auf der Via Alpina Webseite mit der tiefsten Schwierigkeitsstufe eingetragen – was ein absoluter Witz ist. Unsicher begann ich die Route zu googeln und mit anderen Wanderplattformen zu vergleichen, wo diese tatsächlich als T4 eingetragen war. Somit defintiv keine Übereinstimmung. Vor allem kam es ohne Vorahnung! Es gab Ketten und sogar eine Leiter, und während drei Stunden dufte man auf keinen Fall stolpern.
Ich schaffte es trotz Nässe (es regnete aber nicht mehr) auf das Hochplateau und wendete meinen neuen Super-Trick an: Wenn es nicht so gut läuft, dann stelle ich mir vor, was ich mir wünschen würde. So quasi eine Visualisierung des Best-Case-Szenarios. Ich wusste, dass es eine Hütte hatte und wünschte mir, dass es eine Selbstversorgerhütte ist, dass niemand da ist und ich die Nacht dort verbringen könnte. Und genau so war es! Eine wirklich coole, kleine Hütte – das Rifugio Fiorasca. Ich machte sogar – ich glaube das erste Mal in meinem Leben – das Feuer für den Ofen ganz alleine. Normalerweise will das unbedingt immer mein Freund machen oder es gibt sonst jemanden, der mehr davon versteht. Ich war mir nämlich nicht sicher, welche Hebel man noch drehen musste, damit ich mich in der Hütte nicht selbst einräuchere. Als der Rauch aus dem Kamin kam, war ich sogar ein bisschen Stolz. Somit wäre dieses „First“ auch abgehakt. Ich trocknete meine Sachen so gut es ging. Entweder war alles nass vom Schwitzen während der 4h Aufstieg oder halt vom Regen. In der Nacht tat ich aber gefühlt kein Auge zu. Die Mäuse tanzten innerhalb des Daches über meinem Kopf. Ich war nervös wegen des schlechten Wetters und des bevorstehenden Passes.
Am Morgen von 07.00 bis 09.00 Uhr war das Wetter kurze Zeit etwas besser. Der Aufstieg zum Pass war mühelos, aber der Abstieg richtig, richtig scheisse. Der Pass war „kamin-mässig“ zwischen zwei Felswänden und genau darin sammelte sich der Schnee. Es war steil, aber es gab leider auch keine andere Wahl als dieses Schneefeld zu überwinden. Zuerst kroch ich unten drunter, dann aber musste ich drüber. Meine Schuhe sind für solche Angelegenheiten zu weich, da wäre mein fester Bergschuh schon besser. Ich hackte mich Schritt für Schritt runter. Am Schluss rutsche ich noch etwas aus. Endlich überwunden ging es im strömenden Regen nach Prato Sornico. Mir war eiskalt – alles war so nass. Und ich hatte fürchterlich schlechte Laune. Wieder kam mir der Abstieg endlos vor und weil es so nass war, wählte ich oft die Fahrstrasse, damit ich nicht durch das hohe und nasse Gras laufen musste. Da es mir nicht so gut ging, suchte ich im Dorf nach einem Restaurant und ass etwas Warmes. Danach checkte ich meine Möglichkeiten. Der Plan war ja, weiter zu laufen, um etwas vorzuarbeiten für den morgigen Tag und dort zu Zelten. Aber ich war so fix und fertig, dass ich überlegte morgen gar nicht zu wandern und einen Pausentag zu machen. Das Doofe war aber, dass ich bereits einen für am Freitag eingeplant hatte und somit wären es zwei Pausentage nacheinander. Ich fand heraus, dass es in Prato Sornico ein kleines Hotel gab und checkte dort völlig am Ende ein. Nach einer Dusche ging es mir aber schon viel besser. Ich entdeckte zwei Zecken an mir und entfernte sie. Und das obwohl ich genau aus diesem Grund nur lange Hosen und sogar ein Langarm-Shirt trage! Trotzdem kamen die Viecher bis zu meiner Kniekehle und auf einen Arm. Ab jetzt heisst es also Zeckencheck everyday. Es gab leider keinen Föhn um die Schuhe zu trocknen, aber eine Badheizung. Mit etwas Kreativität bekam ich sogar meine Schuhe trocken. Am Nachmittag schlief ich etwas und musste mir zwei Sachen eingestehen.
Erstens: Es war mir heute zu gefährlich. Die Lektion die ich dabei gelernt habe: Bei richtigem Scheiss-Wetter laufe ich keine anspruchsvollen Etappen. Sonst ist die Tour vielleicht schneller zu Ende als es mir lieb ist.
Und zweitens: Anstrengende Etappen zusammennehmen (ich wanderte 5 Etappen an 4 Tagen) um Zeit zu sparen lohnt sich nicht, wenn mein Körper nachher überbeansprucht ist und sich nicht richtig erholen kann. Da ich im Tessin war, wollte ich am Freitag bei Christian Zuhause einen Pausentag einlegen. Um aber mit dem Plan nicht nach hinten zu rutschen, legte ich die Etappen zusammen. So wäre es zwar ein Pausentag, aber ich hatte ja schon vorgewandert. Keine gute Idee, wenn es so verdammt streng ist. Werde ich ab jetzt nur noch bei einfachen Etappen machen – Zeitplan hin oder her.
Nach einer Nacht im Hotel ging es mir viel besser und auch das Wetter war wieder gut. Ich entschloss mich bis Sonogno weiter zu wandern. Dazwischen war aber wieder ein Pass und zwar ein verdammt steiler. Ich war nervös! Ca. 1h vor dem Pass kam mir ein Wanderer entgegen. Er meinte, der Pass ist super steil aber auf der anderen Seite komplett schneefrei. Endlich konnte ich mich entspannen. Super glücklich wanderte ich im Rekordtempo nach Sonogno. Ich machte innerhalb ca. 8h nur 15 Minuten Pause, um einen der wenigen Busse nach Tenero zu erwischen. Da ich schlussendlich sogar zu früh ankam und noch nichts gegessen hatte, gabs im Café einen Coupé zum Zmittag (danach war mir schlecht haha). Ich war so erleichtert, dass alles gut geklappt hat und fuhr mit den ÖV nach Mendrisio, wo mich Gabi, Christian‘s Mama, abholte. Damit sie bei der Autofahrt nicht aufgrund meines Gestankes in Ohnmacht fiel, wechselte ich im Zug noch mein Wandershirt mit dem Schlafshirt, welches fast gar nicht roch. Danach durfte ich duschen und meine Sachen waschen, was in mir mittlerweile grosse Glücksgefühle auslöst. Weitere Glücksgefühle waren: Normale Kleidung zu tragen, ein feines Znacht (Salat juhu) und ein richtiges Bett.
Den Pausentag verbrachte ich bei bestem Wetter mit Blogpost schreiben, Lesen im Garten, einkaufen für die nächsten Tage und essen. Ich bin nun seit drei Wochen unterwegs. Diese Woche war mental anstrengend. Deshalb habe ich alle weiteren Etappen genau geprüft und ab Biasca eine Routenänderung vorgenommen. Es war mir einfach noch zu heikel über steile, felsige Pässe mit Schnee zu laufen. Ich wollte keine unnötige Gefahr eingehen, wenn es mit einem kleinen Umweg möglich war, diese zu umgehen. Sicherheitshalber liess ich mir aber noch mein zweites Mini-Steigeisen zusenden.
Am Samstag fuhr ich mit den ÖV gemeinsam mit Christian zurück nach Sonogno. Der Bus war unglaublich vollgestopft und wir trugen, als eine der wenigen, eine Maske. Von Sonogno wanderten wir zu Beginn entlang der Verzasca und dann in die Höhe zur Capanna d‘Efra. Wir kamen am wohl aller schönsten See (seit meiner Via Alpina Tour) vorbei und badeten den Schweiss weg. Der See sah aus wie der Joffre Lake in Canada und erinnerte mich an die Ferien im Frühling 2019. Jedoch hatten wir im Vergleich zu Canada den See komplett für uns alleine. Solche Momente liebe ich und Bergseen üben sowieso eine ganz krasse Anziehung auf mich aus. Damit ich den Moment aber voll auskosten kann, muss ich immer auch ins Wasser. Nur dann ist die Erinnerung mit der kühlen Erfrischung perfekt. Wenn es dann wieder super heiss ist beim Wandern, dann denke ich an das kalte Gefühl des Wassers im See. Die Capanna D’Efra befindet sich im Umbau, aber wir hatten angerufen und man darf dort übernachten. Was wir dann auch machten und etwas bereuten. Es war zwar schön und alle sehr nett aber es fand eine riesen Sauf-Party bis 01.00 Uhr statt und das direkt nebenan. Alle sangen und grölten und es hörte sich nach einer richtigen Ausart-Party an. Zum Mitmachen hatten wir keine Lust. Irgendwann schliefen wir trotzdem ein.
Hier nochmals zusammengefasst meine Lektionen der Woche 3:
Grundsätzlich: Bei super langen Strecken Übernachtung in Hütte anpeilen.
Lesson 1: Keine strengen Etappen zusammenlegen.
Lesson 2: Bei richtigem scheiss Wetter nicht loslaufen, ausser bei ganz einfachen Etappen. Dann halt zwangshalber Pausentag machen oder Schwierigkeiten mit Alternativroute umgehen.
Lesson 3: Sich bei der Informationsbeschaffung auf mehrere Quellen beziehen und einen Double-Check bezüglich Schwierigkeitsgrad der Route machen.
5 Comments
Bea Ragettli
23. Juni 2020 at 9:56Bilder sind selbst bim wüasta Wetter schön und beeidruckend 😲🥰 stolz uf di 💕 und ufpassa 😌
christinara
30. Juli 2020 at 13:58😘😘😘
Lischer Erika
23. Juni 2020 at 19:58du besch e tapferi jongi frau, ha mega freud a dine brecht. danke ond witerhi vöu glöck.
Sissi
27. Juni 2020 at 17:31Mei, Du! Ich mag Deine Schweissgeschichten, wünsch dir noch mehr Sonnenschein, weniger ON-Pool- und Sauf-Partys und noch viele mehr feine Menschen und Böcke!
christinara
30. Juli 2020 at 13:58Liebe Sissi, juhu so cool, dass du meinen Blog liest! Im moment sind keine On-Poolparties mehr, aber ich frage mich wie viel Schweiss so ein T-Shirt aufsaugen kann haha. Noch zwei Wochen und dann ist das Meer zumindest in Sichtweite. Danke für deinen Kommentar und ganz liebe Grüsse aus Villach, Christina