VIA ALPINA

Woche 17 – Via Alpina Abschlussprüfung?!

Noch 11 Tage! Aber vor mir lag eine herausfordernde Strecke und Regen jeden Tag. Kein Wunder also, dass ich nervös das Rifugio in Sant Anna di Vinnadio verlies. Ich wusste nicht, ob ich die nächsten fünf Tage Netz haben würde und wie es mit den Hütten aussieht. Eigentlich müssen Berghütten auch nach Saisonende einen Schutz bieten – meistens in Form eines Winterraums. Diese sind wegen Covid-19 in diesem Sommer jedoch manchmal geschlossen. Im Normalfall – bei mässigem Wetter – brauche ich die Hütten ja auch gar nicht. Essen habe ich auch noch genug dabei. Aber da es die gesamte Woche regnerisch gemeldet war, hoffte ich auf so viele Nächte wie möglich mit einem Dach über dem Kopf. Denn das Problem ist, wenn ich beim Wandern nass werde, habe ich im Zelt keine Möglichkeit irgendwas trocknen zu können. Im Gegenteil, irgendwann ist alles feucht. Bei Regenwochen habe ich bisher mindestens jeden dritten Tag eine Unterkunft gebucht. So konnte ich meine Kleidung und meine Ausrüstung trocknen. Doch auf dem bevorstehenden Abschnitt ging das nicht – denn es gab keine Unterkünfte. So hoffte ich einfach auf das Beste und organisierte mich so gut wie es ging mit dem Wetter. Von Sant Anna di Vinadio ging es auf die Bergkrete und so lief ich etwa zwei Stunden auf der Grenze von Italien und Frankreich. Es zog immer wieder Nebel auf, aber das Wetter war noch sehr freundlich und das Panorama sehr beeindruckend. Beim Pass Lombarda angekommen entschied ich mich nun, die gestern vorgeschlagene Route von Daniele zu laufen und nach Frankreich abzusteigen. Unter mir lag der Skiort Isola 2000, wo es vielleicht noch eine Unterkunft gehabt hätte. Ich wanderte über den Pass „Merciere“ und überquerte einige Geröllfelder – dankbar, dass es noch nicht regnete. Über nasse Felsbrocken zu laufen ist nämlich etwas mühsam wegen des Ausrutschens. Der Wetterumbruch war auf 15.00 Uhr vorhergesagt. Ich nutze den Tag deshalb, um so weit wie möglich zu kommen. Kurz vor dem See „Tavels“ fing es aber schon an zu tropfen. Mist, früher als erwartet aber so genau war die Prognose ja nie. Am See musste ich die schwierige Entscheidung fällen, ob ich hier bleibe und noch trocken das Zelt aufstelle oder es riskiere weiterzulaufen. Daniele hatte vom bevorstehenden „Pass des Portettes“ geschwärmt. Es habe einen tollen Militärweg. Den konnte ich leider nirgends sehen. Allgemein sah es recht unwegsam aus – und steil! Doch es hörte auf zu tropfen und da der nächste Tag sonst 8 Stunden wäre, bei schlechterem Wetter als heute, entschied ich mich für den Pass. Als ich loslief hoffte ich – nein betete fast – dass der Regen (übrigens in Kombi mit Blitz und Donner gemeldet) bitte erst kommen möge, nachdem ich den Pass gemeistert habe. Der Aufstieg von ca. 400 Höhenmetern um 13.30 Uhr versuchte ich daher so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Und was für ein Pass es war! Ich würde sagen einer der steilsten und anspruchsvollsten meiner gesamten Strecke von 2000 Kilometern. Die meiste Zeit benutze ich nicht nur die Füsse, sondern auch meine Hände zum Aufstieg. Gleichzeitig dachte ich, Daniele muss mich ja für ganz schön mutig gehalten haben, mich auf diese Tour zu schicken bei Schlechtwetterprognosen. Aber ich hatte Glück, der Regen blieb aus und auf dem Pass ging es zurück nach Italien, noch etwas steiler als der Anstieg, den ich gerade gemeistert hatte. Phuu, schnell runter. Ich erinnerte mich, immer konzentriert zu bleiben und als ich das Schlimmste überstanden hatte, sah ich auch diesen Militärweg. Ach so, der kam erst auf der anderen Seite! Es dauerte nicht mehr lange bis ich im Nebel unter mir einen See „Lago des Portettes“ erkennen konnte und daher wusste, die Hütte Emilio Questa musste gleich auftauchen. Was für ein grandioser Standort! Bei der Hütte angekommen war sie natürlich verlassen und alle Fenster mit Stahlschutztüren verschlossen. Die Eingangstüre liess sich jedoch öffnen und ich kam in einen Raum mit Holzbänken. Mehr war nicht offen, aber ich jubelte innerlich. Ein Dach über dem Kopf hatte ich somit schon einmal auf sicher. Nur 5 Minuten später kam eine Gruppe bei der Hütte an. Es war Sonntag – aber ich hatte sonst noch niemanden angetroffen. Die Gruppe waren Freunde (Donatella, Graziano, Robbie, Mauro und Maria) um die 50+ und aus Cuneo. Sie machten einen Ausflug bis zur Hütte und kehrten wieder um. Ich hatte mein Tagesziel für heute erreicht, aber sie meinten dann, das Rifguio Valasco 1.5 Stunden von hier, wäre offen. Ich solle doch dorthin gehen. Also entschied ich mich, gemeinsam mit ihnen abzusteigen. Das Wetter war immer noch okay und wenn unten eine geöffnete Hütte war, würde ich diese Option natürlich vorziehen, als auf dem Fussboden der Emilio Questa Hütte zu schlafen. Im Abstieg startete der Regen, aber es war noch ganz okay. Ich genoss es Teil einer Gruppe zu sein und in einem angenehmen, bereits vorgegebenen Tempo abzusteigen. Beim Rifugio Valasco dann aber ein kleiner Schock: Chiuso. Es war schon 17.00 Uhr und die Hütte hatte vielleicht heute offen, aber nicht mehr. Sie war auch viel weiter unten auf einer Alp, sodass ich nicht mit einem Winterraum rechnete (war früher übrigens das königliche Jagdhaus). Daher stieg ich weiter ab bis Terme die Valdieri. Die Gruppe hatte dort ihr Auto parkiert und ich wusste, es gab noch ein weiteres Rifugio – die Casa Savoia. Ich war schon ziemlich fertig nach über 30 Kilometern und drei Pässen, aber ich hatte riesiges Glück! Im Terme di Valdieri gibt es vielleicht zehn Häuser und ich googelte vor einer Woche den Ort und wusste, das auch dort die Saison vorbei war und alles geschlossen war. Doch als ich dort durchlief war das Hotel „Albergo Turismo“ geöffnet. Damit habe ich nicht mehr wirklich gerechnet. Im einfachen Hotel gab es ein Zimmer mit Halbpension für 60 Euro und nicht lange nach meinem Einchecken regnete es aus Kübeln. Phuu, zum Glück habe ich es fast trocken bis hierhin geschafft. Das andere Rifugio war übrigens auch zu. Ich ass einen sehr feinen Znacht und genoss es zu wissen, dass es morgen nun gar nicht mehr weit sein würde.

Nach dem Frühstück startete ich den 1200 Höhenmeter Anstieg. Ich wollte es ins Rifugio Morelli Buzzi schaffen und wieder möglichst vor dem Regen. Wegen der guten Vorarbeit von gestern, sollte das klappen. Ich hoffte ganz fest, dass es einen offenen Winterraum gibt, obwohl im Tal ein Zettel hing, dass der geschlossen ist. Der Aufstieg war sehr entspannend. Eine gute immer gleichbleibende Steigung auf einem tollen Weg. Ausser, dass ich mal wieder viele Spinnennetze mit meinem Gesicht zerstörte, was nicht so toll ist. Um 12.30 Uhr kam ich bei der Hütte an und machte den rundum Check. Wieder ein grosses Glück! Der Winterraum war offen und sah super aus! Nicht so schimmlig wie zum Beispiel der Winterraum im Rifguio Zanotti von letzter Woche (nur erkundet, nicht dort geschlafen). Ich hatte mit mir ausgemacht, dass wenn es einen Winterraum gibt, ich dann hierbleibe. Sonst wäre ich vielleicht noch weiter gelaufen, bis der Regen eingesetzt hätte. Der hätte eigentlich am Mittag kommen sollen. Bei der Hütte hatte es Steinböcken mit Nachwuchs und ich freute mich über ihre Anwesenheit. Danach ging ich in das Biwak, weil ich fror. Kaum drinnen leerte es wieder ordentliche Mengen Wasser vom Himmel. Puh, ich habe zweimal ziemlich „Schwein“ gehabt. Jetzt sind es nur noch zwei Nächte und drei Tage mit erschwertem Wetter, Saisonende und Corona- Bedingungen. Im Biwak gab es sogar Licht. Es war eigentlich ein richtiges Traumbiwak – nur der Ofen fehlte.

Es wurde morgen und ich hatte es so gemütlich, dass ich fast nicht aus dem Bett kam. Doch ich musste mich beeilen, denn heute ist der schlechteste Tag. Schon um 12.00 Uhr kommt der Regen und ich wollte bis dann am Ziel sein. Ich stand auf und packte alles zusammen, um kurz nach 07.00 Uhr starten zu können. Es war alles noch etwas feucht und ich stieg über Geröllfelder zum Pass Chiapous auf. Oben angekommen sah ich kurz ein kleines bisschen blauer Himmel, bevor mich auf der anderen Seite ein dicker Nebel verschluckte. Ich sah nur noch ein paar Meter vom Weg und kam so bis zum Chiotas-See und der grossen Staumauer. Dort piepte mein Handy, Netz! Ich checkte kurz das Wetter und der Regen kam nun eine Stunde später. Sehr gut, dann würde es aufgehen. Der nächste Pass „Colle di Fenestrelle“ ging auch flott und oben angekommen sah ich extrem viele Gämse und Steinböcke. Etwas weiter unten dann wieder einmal Menschen. Ein Paar aus Deutschland, die auf den Pass und zurück wollen. Sie meinten, ihnen hätte jemand im Tal gesagt, die eine Hütte ist noch offen – zum Schlafen aber auch mit Essen. Sie wussten jedoch nicht mehr welche, es könne aber die dort unten sein. Die dort unten war mein Ziel, das Rifugio Ellena Soria. Ich beeilte mich im Abstieg und kam zur Hütte. Etwas weiter unterhalb stand der Winterraum, welcher über 100 Jahre alt ist. Ich checkte ihn ab und fand das Biwak sehr gruselig. Nein, hier wollte ich nicht schlafen. Ich ging zur Hütte, schaute ob irgendwas offen ist – aber nein. Also dann wohl ins Zelt. Ich baute mein Zelt während des einsetzenden Regens auf und brachte alles rechtzeitig ins Trockene. Zuerst war alles ganz prima, aber dann fing es heftig an zu winden, was absolut nicht auf dem Plan (Wettervorhersage) stand. Der Regen war stark und auf einmal bemerkte ich, dass auf der Seite Wasser in mein Zelt kommt. Ich putze es weg und las weiter. Es fing dann so stark an zu winden, dass ich mich wieder aufsetzte. Dann sah ich, dass der ganze Zeltboden nass war. Und zwar so richtig! Ich hob die Matte – überall Wasser. Dann schaute ich nach draussen und merke, dass sich das Wasser am Boden überall sammelte und nicht abfloss. Alles wurde nass und der Wind machte es nicht besser. Ich entschied mich wohl oder übel um. Das Not Biwak wäre in dieser Situation doch die bessere Wahl. Jetzt musste ich nur schlau hier rauskommen. Ich packte alles ausser der Matte in den Rucksack. Da meine Schlafmatte so nass war, packte ich sie einfach unter den Arm. Ich brachte bei der Hütte die Sachen in Sicherheit (also so unter den Rand des Daches) und ging zurück zum Zelt. Das Zelt jetzt abzubauen wäre schwierig mit dem Wind und dem starken Regen, daher stampfte ich alle Heringe gut ein, und liess es stehen. Als ich zurückkam (ja es war zu erwarten), war meine Matte weg! Shit! Ich rannte umher und sah sie im Abhang liegen. Schnell nahm ich mein Zeugs und ging zur Matte, packte sie und ging so schnell wie möglich zum Not Biwak. Im Not Biwak gab es einen Vorraum mit ganz alten kaputten Betten und einem nicht mehr gebrauchsfähigen Herd. Im Biwak Raum war es kalt, feucht und sehr dunkel. Wie soll ich hier meine Sachen trocken kriegen? Ich wäre besser direkt hierhin, dann wäre jetzt gar nichts nass. Ich fühlte mich sehr unwohl und war doch froh, dass es das Biwak gab. Nach ein paar Stunden schaute ich nach, ob das Wetter besser war. Es war nicht mehr so stürmisch und ich ging wieder zur Hütte, um mein Zelt abzubauen. Ich kam an und sah, dass es umgekippt am Boden lag – noch an einem einzigen Hering befestigt! Oh mein Gott, fast hätte es als mein Zelt davon gewindet! Mein Zelt war schlammig, nass und ein bisschen kaputt. Ich packte es ein und ging zurück zum Biwak. Dort nahm ich mein GPS-Gerät hervor und schrieb über Satellitenempfang Christian, dass ich in Sicherheit bin. Als ich wieder rein kam, packte mich irgendwie die Panik. Ich hatte einen kleinen Freak-out Moment, aber ich konnte nichts anderes machen als hier zu bleiben. Ich legte mich wieder auf die grusligen Matratzen, welche ich mit müffligen Decken überdeckt hatte. Dann hörte ich auch noch die Mäuse im Dach rumrennen. Obwohl ich nur einen Riegel gegessen hatte, war mir der Appetit vergangen. Kochen wollte ich hier bestimmt nicht. Ich hoffte diese Nacht geht so schnell wie möglich vorbei und morgen würde es wieder besser aussehen. Ich versuchte zu lesen, aber ich hörte ständig mein Herz klopfen. Ich bin für solche Unterkünfte einfach zu wenig rational. Vor was ich genau Angst habe, weiss ich selber nicht, aber ich hätte viel lieber im Zelt geschlafen. Mit den Gedanken, dass es wahrscheinlich das letzte Mal ist, dass ich mich überwinden und zusammenreissen muss, hielt ich es irgendwie durch. Solche Momente sind soooo viel schlimmer alleine, als zu zweit. Beispielsweise wenn die alte Stahltüre vom Wind knarzt, dann ist das super unheimlich. Wenn man zu zweit ist, dann schenkt man solchen Geräuschen kaum Beachtung.

Die Nacht war doch besser als erwartet und am Wichtigsten: trocken! Ich packte zügig alles zusammen und lief direkt los. Das Wetter sah sehr gut aus, aber es war verdammt kalt. Mir ging es nicht so gut, da ich mich etwas schwach fühlte. Höchstwahrscheinlich, vom wenigen essen. Ich wollte aber keine Minute länger im Biwak bleiben und liess das Frühstück aus. Der Plan war es dann in der Sonne zu essen, aber ich schaffte es nicht so weit. Mir war etwas schwindlig und schlecht im Aufstieg und daher hielt ich an, um einen Riegel zu essen. Ohne Sonne war es aber so kalt, dass es eher eine Zwangspause war. Schnell wieder weiter und den Körper mit Bewegung erwärmen. Der Pass Finestra war früher auch ein bekannter Fluchtweg der Juden von Frankreich nach Italien. Es erschauderte mich, wenn ich daran denke, dass über die gleichen Steine wie ich, damals Frauen, Kinder und Männer in weitaus schlechterer Verfassung diese Höhenmeter zu meistern hatten. Ich wanderte aus Genuss, aber wenn man hier durchläuft mit minimaler Ausrüstung und nur mit dem Fokus auf das Überleben.. einfach unvorstellbar. Ich kam sehr langsam voran und dachte dieser Pass nimmt kein Ende. Nur etwas unterhalb des Übergangs nach Frankreich hatte es eine Militärbaracke. Ich ging hinein und checkte sie ab, bis etwas davon rannte. Zuerst war ich etwas erschrocken, aber ich dachte mir schon, was es sein könnte. Steinböcke! Die letzten drei Tage fühlten sich an wie eine Alpensafari! Steinböcke, Gämse und Murmeli. Und oft mit Jungtieren. Nach dem Pass kam ich nach Frankreich und sah wieder etwas mehr Menschen. Beim See de Fenestre hielt ich an. Da die Sonne wieder mal schien – was jetzt etwa eine Woche nicht mehr der Fall gewesen war – packte ich das Zelt zum Trocknen aus und machte eine Pause. Nach der Pause nahm ich den Pass Mont Colomb in Angriff und musste dazwischen wieder pausieren. Der Weg war anspruchsvoller mit den vielen Geröllfeldern. Auch war nicht immer klar ersichtlich, wo der Wanderweg durchführt. Zum Schluss wurde es ein bisschen steil, aber kein Vergleich zu dem, was ich als den Abstieg identifizierte. Es hatte wieder Gämsen und Steinböcke und ich habe so viel gefilmt und fotografiert, dass ich wahrscheinlich eine Dokumentation über Steinböcke zusammenschneiden könnte, mit dem vielen Videomaterial. Auch hatte ich deshalb fast kein Handyakku mehr. Ich stieg fast im Zeitlupentempo vom Pass ab. Erstens war das Risiko zu stolpern grösser und zusätzlich war ich müde und hatte grossen, störenden Hunger. Als ich auf eine Fläche kam, musste ich nochmals etwas aufsteigen und sah wieder ein paar andere Wanderer. Hoffnung kam wieder auf und als ich ein Paar kreuzte, fragte ich, ob das Refuge de Nice offen ist (ich rechnete stark mit einem Nein). Sie sagten ja, sie kamen gerade von dort und hätten was gegessen. Das Refuge de Nice ist eine der berühmtesten Hütten in diesem Gebiet (Mercantour Nationalpark) und auch der Ausgangspunkt für den Mont Gelas – dem höchsten Berg hier. Als ich die Hütte sah und wusste, sie ist offen, kamen mir fast Freudentränen. Ich freute mich nach dieser doofen Nacht im grusligen Biwak so sehr auf die Hütte. Es gab sogar eine Dusche und ich war einfach nur glücklich. Meine Kleider hatten leider aber den Biwakgestank angenommen. Ich füllte mir ordentlich den Magen und verbrachte einen grossen Teil des Abends vor dem wärmenden Ofen, während es draussen hagelte (war eigentlich nicht mal Regen gemeldet).

Am nächsten Tag startete ich früh. Zum Frühstück gab es ein Lebkuchenbrot, was mega lecker war. Es war kalt und windig, es ist wirklich Herbst geworden. Nach etwa einer Stunde überholte ich zwei Männer und danach war der Weg nicht immer so offensichtlich zu erkennen. Es ging erneut über viele Geröllfelder den Pass „Baisse du Basto“ hinauf. Teilweise musse ich anhalten und schauen, wo eine Markierung oder ein Steintürmchen ist. Zum Schluss war der Pass in einem ziemlich schlechten Zustand, aber als ich oben ankam traf mich die Sonne mit voller Wucht. So auch der Wind. Es windete unglaublich stark und nach einem Foto auf meinem letzten richtig hohen Pass mit Selbstauslöser, zog ich weiter – meine Finger waren nämlich schon eingefroren. Nun windete es bis zum Schluss des Tages. Am Anfang fand ich es noch cool, die Natur so zu spüren. Später nervte es mich, da ich mich echt konzentrieren musste, weil mich der Wind regelmässig aus dem Gleichgewicht brachte. Auf den letzten Kilometern nach Monaco, wollte ich mich nun echt nicht mehr verletzen. Nach dem Pass kam ich zu den drei Stauseen im Valmasque. Dort sah ich schon eine Info, dass mein geplanter Weg gesperrt ist. Der Umweg wäre aber so sinnlos gewesen, dass ich es einfach ignorierte und hoffte irgendwie passieren zu können. Beim Refuge de Valmasque passierte ich und nahm den Abstieg in Angriff. Ich kam zur Baustellenabsperrung, doch schlussendlich konnte ich problemlos an den Arbeitern vorbei gehen und kam gerade noch rechtzeitig in Casterino an. Ich hatte es geschafft, die Tage ausserhalb der Zivilisation sind durch. In Casterino checkte ich einem kleinen Hotel ein und kurz darauf schien die Welt unterzugehen. Es regnete in Strömen und ich war so froh, heute im Hotel zu schlafen.

Der nächste Tag war mein letzter Pausentag. Ich erlebte nicht viel. Habe alle meine Kleider von Hand gewaschen und war am Nachmittag in der Herberge, um einen Tee zu trinken. Hier nun das Highlight des Tages, auch wenn es negativ war: Am Schluss als ich den Tee fertig getrunken hatte, bemerkte ich, dass darin zwei tote Insekten (riesige Fliegen) auf dem Grund lagen. Die mussten bereits im Wasser mit der Teekanne gewesen sein. Toll.

Der Besitzer des Hotels in Casterino hatte auch On Schuhe und möchte die Via Alpina irgendwann mal in Etappen laufen. Deshalb machten wir gemeinsam ein Foto mit den On Schuhen bevor ich aufbrach. Es ging nämlich ein letztes Mal in die Berge. Es war der allerletzte Via Alpina Samstag. Und somit auch der letzte Tag einer kompletten Woche. Die Vorfreude, es bald geschafft zu haben wächst und wächst. Fast ein bisschen ins Unaushaltbare, sodass ich mich zwingen muss nicht ständig daran zu denken. Ich fühlte mich wie als Kind in der Nacht vor Weihnachten. Ich verliess noch einmal die Via Alpina, weil ich den Umweg nach Garessio in Italien nicht mehr machen wollte. Ich lief nach Saorge/Fontan, aber wollte nicht die schnellste Route wählen, sondern die Schönste. Ich wanderte fast noch einmal zum gleichen Ort, wo ich am Donnerstag war – einfach auf der anderen Passseite. So lief ich von Casterino in die Richtung des Refuge des Merveilles. Der Weg war nicht gekennzeichnet und ich kam durch ein paar Kuhwiesen bis auf eine Alp und wanderte an der Refuge Fontalba vorbei. Danach ging es auf eine sehr fotogene Scharte von 2200 Meter. Es war eisig kalt und ich machte ein paar Fotos, spürte aber bald meine Finger nicht mehr. Nach einem kleinen Abstieg nahm ich einen erneut nicht markierten Weg zum Refuge des Merveilles. Meine Nase war so kalt, dass ich sie nicht mehr spürte. Eigentlich wollte ich auf der nächsten Scharte bei einem See im Zelt schlafen, aber weil es so extrem abgekühlt hatte, plante ich den Umweg zur Hütte zu laufen und dort nach einem Schlafplatz zu fragen. Das Refuge des Merveilles ist auch an einem See und als ich ankam, sah es etwas verlassen aus. Doch da waren tatsächlich Leute und ich erkundigte mich nach einem freien Bett im Warmen. Doch Pech gehabt, es war Samstagabend und wegen der Corona-Einschränkungen war die Hütte bereits voll. Ich wurde aber gefragt, ob ich dort Abendessen möchte und dachte erst, eher nicht. Die Hüttengehilfin zeigte mir wo ich biwakieren darf und ich ging wieder nach draussen, um mein Zelt aufzustellen. Auf einmal sah ich weisse Stücke auf meinem Zelt. Im ersten Moment dachte ich, woher kommen diese riesigen Schuppen oder was auch immer das ist. Dann fiel eine neue „Schuppe“ auf mein Zelt. Ok. Alles klar – es handelt sich hier ernsthaft um Schnee! Jetzt habe ich fast Meersicht und trotzdem beginnt es hier Ende September schon zu schneien?! Da hatte ich andere Erwartungen an den Süden. Jetzt war aber auch klar, warum meine Nase immer so eiskalt war – nämlich, weil es einen Wintereinbruch gab. Ich ging zurück zur Hütte und obwohl ich lieber ein Bett als ein Znacht gehabt hätte, entschied ich mich für das Abendessen. Vor allem aus dem Grund, um so gerechtfertigt möglichst lange in der warmen Gaststube bleiben zu dürfen und dann gut gewärmt in den Schlafsack zu schlüpfen. Wenn ich einmal ausgekühlt bin, dann wird mein Körper fast nicht mehr warm. Aber gut aufgewärmt, könnte auch diese Nacht aushaltbar werden. Beim Abendessen lernte ich sehr viele Leute kennen. Es wurde sich gegenseitig wieder die üblichen Fragen gestellt. Woher man ist, wo man heute losgelaufen ist, wo man die Tour gestartet hat und wohin man geht. Das ist bei mir dann immer lustig, wenn ich mit 2000km, Trieste und 4 Monaten antworte und mir die Leute es manchmal einfach nicht glauben. Jedenfalls hatte ich super Unterhaltung und bekam noch einen Vin chaud (Glühwein) und ein Gagnard (Zuckerwürfel im Ginepy Schnaps – aber verdammt stark). Zurück im Zelt versuchte ich gerade einzuschlafen, als nach 21.00 Uhr noch ein Typ auftauchte, summend und singend, der seelenruhig erst sein Zeugs im Dunkeln auspackte und in der Nähe von mir biwakierte. Später nach 22.00 Uhr, begann laute Techno-Musik zu dröhnen und weckte mich auf. Ich wusste nicht, ob es mein neuer Nachbar war, oder von einem Zelt weiter weg kam. Wir hatten nämlich ein halbes Base-Camp um das Refuge des Merveilles. Alle hätten gerne einen Hüttenschlafplatz gehabt. Es tröstete mich etwas, als ich sah, dass die anderen mit Zelt weitaus schlechtere Ausrüstung hatten als ich. Da habe ich ja kein Grund zum Jammern. Die Musik war ziemlich nervig und trotz der Ohrenstöpsel hörbar. Ich überlegte schon rauszugehen und den Wolf zu spielen – aber es war so eiskalt. Unter keinen Umständen würde ich aufstehen und rausgehen. Zur Beruhigung plante ich diverse Rachepläne für die Leute im Partyzelt.

Wie ich die kälteste Nacht der Via Alpina überstanden habe, folgt dann im allerletzten Blogpost.

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