VIA ALPINA

Woche 18 – fertig Schluss, ich hab‘s geschafft!

Dies ist mein letzter Via Alpina Blogpost. Fast 20 Beiträge habe ich geschrieben. In diesem Beitrag erzähle ich von meinen letzten Tagen auf der Via Alpina. Zusätzlich gibt es ganz unten im Text ein Fazit zur Tour, zu meinen Erfahrungen inklusive Tipps für zukünftige Weitwanderer/innen und was ich auf diesem Trip gelernt habe.

Die letzten Via Alpina Tage


Als ich aufwachte war der Schnee immer noch da, aber es ist kein Neuer dazu gekommen. Die Nacht war so verdammt kalt, dass an Schlaf nicht zu denken war. Ständig schaute ich auf die Uhr und wenn wieder 40 Minuten vorbei waren, freute ich mich. Ein paar Mal döste ich doch noch weg und als ich dann wieder auf die Uhr schaute, waren zum Beispiel schon zwei Stunden vergangen. Yes, Erfolgsgefühl! Um 04.00 Uhr beginnt die bekanntlich kälteste Stunde der Nacht und als es 05.00 Uhr wurde, wusste ich, dass es jetzt nur noch besser werden kann. Nur hatte ich dann das Problem, dass ich auf die „Toilette“ musste und irgendwann schaffte ich es sogar mich zu überwinden und rauszugehen. Die Nacht war so klar und es war wieder ein magischer Sternenhimmel. Um 07.00 Uhr packte ich meine Sachen zusammen und musste mehrmals pausieren, weil meine Finger beim Zeltabbauen immer eingefroren sind. Auch als ich loslief, war es saukalt. Es war einer der wenigen Tage, wo ich sogar in Bewegung die Daunenjacke anbehalten musste. Alle kleinen Pfützen waren gefroren und es sah landschaftlich so schön aus, weil es so kalt (PS: Meiner Meinung nach ist Kälte sichtbar) und eingezuckert war. Ich musste über einen letzten Pass und dahinter kam endlich die Sonne, welche mich aufwärmen konnte. Auch sah ich zum ersten Mal das Meer! Der Abstieg nach Fontan war mehr als 2000 Höhenmeter und irgendwann hatte ich richtig heftige Knieschmerzen. Ich packte den zweiten Stock aus und schaffte es ins Tal. Dabei durchwanderte ich bei so einem langen Abstieg ziemlich viele verschiedenaussehende Landschaften. Zum Schluss kamen die Kastanien- und Feigenbäume. In Fontan fand ich ein kleines Hotel, wo ich mich einquartierte. Es war ein Hotel aus einer anderen Zeit. Aber leider nicht auf die herzige Art und Weise, sondern wirklich extrem heruntergekommen. Aber andere Unterkünfte gab es nicht. Der Besitzer meinte, dass es heute morgen nur 3 Grad angezeigt hatte. Wie kalt war es wohl 2000 Höhenmeter weiter oben? Meine Schlafsack-Komforttemperatur lag bei -3 Grad, ich nehme an, es war sogar noch etwas kälter. Auch im Hotel packte ich den Schlafsack aus. Die Heizungen laufen natürlich Ende September noch nicht, es waren alle etwas vom Wintereinbruch überrascht. Die Besitzer verabschiedeten sich und dann war ich als einziger Hotelgast allein im alten Haus.

Am Montagmorgen rief wieder Hermann an. Er hatte mich (trotz meiner Abkürzung) wieder überholt. Am Telefon gab er mir noch Routentipps und empfahl mir heute auf der Strasse und nicht dem Wanderweg zu laufen. Der Wanderweg sei komplett verwildert und eine Zumutung. Ich bestätigte ihm, dass ich nach wie vor am 1. Oktober 2020 in Monaco ankommen wollte. Er entschied sich, dort auf mich zu warten und würde mir ein Zimmer im gleichen Hotel wie er buchen. Nach dem Telefonat checkte ich die von Hermann vorgeschlagene Strassenroute und wanderte los. Den ersten Tunnel konnte ich prima auf der alten Hauptstrasse umgehen. Beim zweiten Tunnel wurde es etwas schwieriger. Der alte Weg war von Bergsturzmaterial nicht mehr gut zugänglich und deshalb so wenig begangen, dass die Natur sich wieder alles zurückholt hatte und die Strecke verwildern lässt. Irgendwie schlug ich mich durch und mit der Zeit konnte ich erkennen, dass es schon so halbwegs einen Weg gab. Der Schluss der Strecke folgte wieder der Strasse. Hier donnerten die Autos mit 90 Stundenkilometer an mir vorbei, was mir etwas Angst einjagte. Wanderer auf der Strasse sind wirklich keine gute Sache. Aber die Strasse war sehr breit und ich kam sicher ans Ziel Breil Sur Roya. Dort kam ich an einem Kinderspielplatz vorbei und musste lachen. Hermann hatte mir am Telefon gesagt er hätte wieder auf einem Spielplatz geschlafen – seine Lieblingsplätze. In Breil suchte ich eine Unterkunft und wurde beim Camping fündig. Das Saisonende ist auch in den tieferen Gebieten erreicht und langsam macht alles dicht. Aber der Camping hatte gerade noch diese Woche Betrieb und ich buchte ein kleines Campinghüttli. Es war noch immer kalt und ich drehte die Heizung (yeah!!!) auf. Es wurde kuschelig warm und schön gemütlich. Ich ging noch ins Zentrum und ass in der Auberge etwas. Dort hätte ich eigentlich ein Zimmer buchen wollen, aber es war alles ausgebucht. Das Essen war fantastisch und nach einem Dessert nutzte ich noch ein bisschen deren Wifi und bestellte etwas später spontan erneut ein Dessert. In der Nacht schlich die Campingkatze um mein Hüttli. Ich war aber wie immer schon kampfbereit mich dem vermeintlichen Einbrecher zu stellen.

Von Breil Sur Roya ging es am folgenden Tag über kleine Hügelpässe und waldige Wanderwege. Im Wald gab es so viel Müll! Und zwar nicht ein paar Socken und Plastik, sondern ganze Autos. Manchmal sah es aus, als wäre man in einer Entsorgungsanlage. Gleichzeitig hatte es auf dem Abstieg nach Sospel so viele himmlische Düfte in der Luft, dass ich erst dachte, hier muss vor mir eine stark parfümierte Frau durchgelaufen sein. Doch nein, da waren allerlei duftende Sträucher und Bäume (kann diese leider nicht anhand vom Geschmack beim Namen nennen – upsi). In Sospel angekommen ass ich was und ging dann zur allerherzigsten Herberge. Die Besitzerin, Marie-Claude, war extrem nett und gab mir ein besseres Zimmer, weil ich ja viel gewandert sei und es verdient hätte. Die Hotels und Herbergen sind in Frankreich manchmal nicht so toll, aber im Pont de Vieux fühlte ich mich wie Zuhause. Es war ein altes Kloster und Marie-Claude sagte mir, dass es im gesamten Ort Sospel, nur 19 Zimmer für Besucher gibt. Ihr Hostel hat schon 7 davon. Dabei kämen viele GR5 Wanderer und sonstige Ausflügler vorbei. Denn Sospel ist ziemlich hübsch! Ich konnte vom Bett aus den zweitletzten Blogpost hochladen und freute mich auf den letzten richtigen Wandertag.

Der Mittwoch war ein anstrengender Tag von 9 Wanderstunden und 1500 Höhenmetern Aufstieg durch unwegsames (nicht schwierig, aber mühsam) Gelände. Da die einzige Unterkunft in Peillon (eigentliche Etappenziel) Ruhetag hatte, musste ich noch etwas weiter bis La Turbie, oberhalb von Monaco. Ich wusste, dass ich mich gut konzentrieren musste, um auf dem Weg zu bleiben. Hermann hatte sich auf dieser Strecke verlaufen und kam schlussendlich mit Hilfe von Autostopp ans Ziel. Kein Wunder, sogar ich mit der Hilfe des GPS hatte Mühe. Besonders der Anfang ab Sospel war wirklich in einem katastrophalen Zustand. Fast ein bisschen frech, diese Routen noch mit Schildern als Wanderwege auszuweisen und Leute dort durch zu schicken. Meine Beine wurden regelmässig von Bombeersträuchern blutig gekratzt. Auch hörte man abwechselnd wieder mal was wegzischen, meistens Eidechsen. Aber man sagt ja, wo Eidechsen sind, da hat’s auch Schlangen. Ich hoffte sehr, keine mehr anzutreffen und hatte Glück – es kam zu keiner Begegnung. In Peillon machte ich einen Stopp und erkundete das Dörfli. Wow, war das schön mit den Steinhäusern und den kleinen Gässchen. Ab hier waren es noch 2 Stunden bis La Turbie. Das nächste Dorf hatte erstmals wieder grössere Villen und langsam konnte man erahnen, was bald noch kommen würde. Danach ging es über eine Kuppe und obwohl es ja zu erwarten war, war ich total perplex! Das Meer – so nah! So blau, aber vor allem – so – verdammt – nah. Monaco! Oh mein Gott, ich habe es geschafft. Was kann jetzt noch passieren. Ich konnte mich nicht sattsehen an dieser Aussicht und wurde komplett von meinen Gefühlen übermannt. Es fühlte sich an wie eine emotionale Explosion, wo man irgendwie sehr glücklich und sehr traurig ist. Ich überlegte, ob ich jemanden anrufen soll, um den Moment zu teilen. Aber irgendwie konnte das niemand nachvollziehen und ich entschied mich dagegen. Also lief ich runter nach La Turbie und checkte ins Hotel ein. Danach ging ich Abendessen und genoss die Aussicht auf Monaco. Morgen wird alles vorbei sein. Total verrückt! Aber das ist auch gut so. Mein Körper ist heute mal wieder besonders erschöpft und es ist ein toller Gedanke, zum ersten Mal zu wissen, dass es total egal ist am Ende zu sein, denn ich habe ja nichts anstrengendes mehr vor mir.

Meine letzte Nacht auf der Via Alpina war miserabel – aber es war nun alles egal. Es war einfach zu heiss im Zimmer und mit dem offenen Fenster war es laut. Der Weg von La Turbie nach Monaco war ziemlich cool. Ein richtiger Wanderweg und auch das Via Alpina Zeichen begleitete mich noch bis ans Ziel. Nach etwa einer Stunde überschritt ich die Grenze. Monaco, ich hatte nun das sechste Land betreten. Mein Ziel: Einen Strand finden. Es gab die Lavrotto Beach, der einzige Strand in Monaco. Der war aber etwas weit weg. Doch ich wollte in Monaco ins Meer und nicht am näher gelegenen Strand in Frankreich. Bei Lavrotto Beach angekommen, war dort leider eine unglaublich grosse Baustelle. Es gab absolut keine Möglichkeit hier zu baden. Deshalb lief ich einmal durchs ganze Land (haha) und fand auf der anderen Seite, bereits wieder in Frankreich, einen kleinen Kies-Beach. Ich wollte meinen grossen Moment natürlich festhalten. Also baute ich den Wanderstock auf und stellte mein Tripod (Stativ) darauf. Funktionierte super, aber die wenigen Leute, die da waren, lachten mich und meine narzisstische Aktion hemmungslos aus. Aber da die Leute zum Teil nackt waren, wollte ich sie nicht stören und fragen, ob sie ein Bild von mir gemacht hätten. Es war peinlich, aber nach wenigen Minuten war der Spuck ja vorbei und ich packte alles ein und ging dann richtig baden. Ja richtig gehört, im Meer. Beim Trieste Blogpost hatte ich ja gesagt, dass ich Meerwasser nicht mag. Deshalb hatte ich heute zwei Liter Wasser mitgeschleppt für eine Homemade-Dusche. Ich tauchte sogar unter Wasser. Draussen wurde ich (so meinte ich) immer noch etwas ausgelacht. Ich war dann halt einfach die, die von sich selber Fotos machte. Ich duschte mich und verschwand wieder. Aber der Moment im Meer war sehr schön: Sich von der Strömung treiben zu lassen und sich zu erinnern, dass man etwas geschafft hat, was man wirklich nicht für möglich gehalten hätte. Der Moment, als ich im Mai vor meiner fertig gezeichneten Route stand, war mir noch immer sehr präsent. Ich dachte damals, also wenn ich die Via Alpina schaffen würde, wäre das ja das absolut „gestörteste“ und wie stolz ich dann wäre. In Monaco angekommen flippte ich aber nicht wegen Stolz Gefühlen aus. So gar nicht, es war ein sehr neutrales Gefühl. Am Abend vorher bei Meersicht war es intensiver. Aber ja, ich habe etwas geschafft und erreicht, wovon ich lange geträumt hatte und mir irgendwie gar nicht richtig vorstellen konnte. Und wie immer, wenn man etwas Unmögliches geschafft hat, ist es dann nicht mehr so eine grosse Sache. Ich denke nun, also wenn ich die Via Alpina schaffe, dann ist es nicht mehr so heftig. Das habe ich so bei den ersten Telefonaten auch meinen Freunden und meiner Familie erzählt. Ist schon fies, dass man sich quasi selber runtermacht. So á la, also wenn ich’s schaffe, dann kann das ja jeder, weil ich bin ja niemand aussergewöhnlich starkes, fittes oder willensstarkes. „Aber da gab es doch so viele Momente, wo du aufgeben hättest können?“ sagte dann eine Freundin. Hm, gut das stimmt schon. Ach wie auch immer, ich hatte es geschafft und jetzt muss ich diese unfassbar Schöne und strenge Zeit erst einmal verarbeiten. Das Ende ist immer irgendwie etwas komisch nach einem erreichten Ziel.

Zuerst einmal lief ich zurück nach Monaco. Auf einmal sprach mich ein Mann an. Es ist übrigens komisch im Bonzen-Monaco in stinkender und beschmutzter Wanderkleidung rumzulaufen. Der Mann meinte ich sehe aus, als hätte ich eine grosse Wanderung gemacht. In der Tat, die hatte ich. Ich erzählte ein bisschen und er erzählte mir von sich. Er hiess Dan und war aus Schweden. Er wohnt in Monaco und scheint viel Geld zu haben, denn auch ein Boot von über 40 Metern besitzt er. Jon Olsson (die Skifahrer unter euch Leser kennen ihn bestimmt), welcher auch mal in Monaco wohnte, kennt er persönlich und er war schon in Laax auf dem Vorab zum Skifahren vor über 30 Jahren. Ich habe ihm versprochen von Zuhause eine Karte zu senden. Denn er führte mich ins Zentrum zurück und zeigte mir einen Kleiderladen (für mein Budget – was schwierig ist in Monaco), wo ich eine normale Hose und ein Shirt kaufen konnte. Nach meinem Shopping ging ich zum Hotel und da stand schon Hermann.

Eigentlich hatten wir erst um 14.00 Uhr abgemacht und ich hätte mich gerne noch etwas hingelegt. Aber Hermann war startklar und so duschte ich und kurze Zeit später gingen wir gemeinsam los. In richtiger Feierlaune war lustigerweise keiner von uns beiden. Wir suchten den Jardin Exotique, denn dort gibt es ein Via Alpina Buch. Alle, die die Via Alpina starten oder beenden dürfen reinschreiben und bekommen einen Stempel. Leider stellte sich heraus, dass der Garten bis 2021 geschlossen war. Schade. Danach sind wir zur Festung oder wie auch immer man dieses Gebiet in Monaco nennt. Dort machten wir mit Meersicht ein gemeinsames Foto mit der Via Alpina Karte. Ich kaufte mir noch Postkarten und ein Zugbillet nach Montpellier. Danach wollte Hermann unbedingt zum Café de Paris, vor dem Casino. Er war schon am Vormittag dort und erzählte mir, dass er von der Polizei angehalten wurde. Sie hielten ihn in dieser schicken Gegend in seinem Outfit für einen Obdachlosen. Er musste sich ausweisen und zeigen, dass er Geld und Bankkarten besass. Nach einer Pina Colada in diesem Café (21 Euro!!!), war ich erschlagen. Wir gingen zurück zum Hotel und ich legte mich etwas hin bevor wir in ein Restaurant gingen. Beim Abendessen hatten Hermann und ich spannende Gespräche. Er erzählte mir, dass er sich in meinem Alter sehr oft mit dem Sinn des Lebens beschäftigte und sich damals einer religiösen Sekte (er sagte, so würde man es heute nennen) anschloss. Es war alles etwas skurril für mich und ich bin der Meinung, dass man nicht zu viel über solche Sachen nachdenken sollte. Es lebt sich besser, wenn man viel erlebt, als wenn man grübelt. Hermann erzählte so viel, dass er über eine Stunde nicht weiter ass. Der Kellner kam drei Mal und war etwas irritiert. Auch ich dachte irgendwann, also langsam würde ich gerne ins Bett. Hermann ist ein spannender Mensch und so anders als die meisten. Er ist ein Einzelgänger und das merkt man ihm an. Ich genoss die Begleitung, aber es war auch etwas anstrengend und ich war erschöpft. Vom menschlichen Kontakt, von den vielen lauten Baustellen und den brummenden teuren Autos. Bevor ich einschlief, schrieb ich eine Monaco Karte an mich selber. Einfach damit ich nie vergesse, dass ich es wirklich geschafft hatte.

Am Freitag schüttete es vom Himmel. Phu, toll dass ich nun nicht mehr am Wandern bin. Einige Regionen wo ich durchlief meldeten in den nächsten Tagen Überschwemmungen, Zerstörungen und sogar Tote. Ich schicke nach dem Frühstück meine Postkarten ab und lief mit Hermann zum Bahnhof. Es ist so rutschig auf den glatten Steinplatten, dass ich in Flip-Flop mehrmals fast hinfiel. Meine Pelerine, die ich bereits in den Abfalleimer geschmissen hatte, kam auch ein letztes Mal in den Einsatz. Am Bahnhof holte ich noch einen Chai Latte für den Weg. Ein Fehler! Denn es stellte sich heraus, dass es mit den Toiletten schwierig wird. Bei meinem Zwischenstopp in Marseille, war wegen Corona nämlich alles geschlossen. Also alle Cafés und Restaurants. In Montpellier angekommen verbrachte ich Tage, die mich komplett überforderten. Es hatte so viele Leute! Es war mir alles etwas zu viel und ich blieb oft im Hotelzimmer. Mein Ziel in Montpellier war es nämlich meine Gastmutter Monique zu treffen. Leider hatte sie aber eben eine Knie-OP und in den Spitälern war Besuch verboten. Ich wartete geduldig bis sie entlassen wurde und konnte sie treffen. Danach nahm ich sofort den Zug Richtung Basel. Ich wollte nur noch heim. Die 10-stündige Zugreise eignete sich perfekt fürs Schreiben. Im Zug passierte mir noch der Ober-Fauxpas: Mein Telefon klingelte, es war mein Bruder. Ohne es zu merken, nahm ich meine Maske ab und telefonierte frischfröhlich. Als das Telefonat beendet war, merkte ich erst, dass ich meine Maske gar nicht mehr an hatte. Und das im vollen Zug! Es war mir peinlich. Genau mir passierte das, obwohl ich alle Menschen in den ÖV’s böse anschaue, die keine Masken tragen. Kurz vor Mitternacht werde ich in Flims ankommen und dann 10 Tage* alleine in der Quarantäne verbringen.

*Update: Die Montpellier Tage wurden von der Quarantänedauer abgezogen – yes!

Mein Via Alpina Fazit

Fakten

  • Ursprünglicher Plan: von Monaco nach Trieste. Wegen Corona dann Vernayaz (CH) nach Trieste und Vernayaz nach Monaco.
  • 4 Monate im Sommer 2020
  • Über 2’000 Kilometer
  • Ca. 100‘000 Höhenmeter
  • Über 100 Pässe (hab’s nicht mehr mitgezählt)
  • 6 Länder
  • 7 Besucher

Meine landschaftlichen Highlights auf der Via Alpina

Monaco:
Interessant, aber hat man in einem Tag gesehen. Würde ich hier jetzt nicht als Empfehlung auflisten, aber war halt ein Land auf der gesamten Tour.

Frankreich:

  • Mercantour Nationalpark, so nah am Meer und doch so alpin mit hohen und steilen Pässen, schönen Hütten und Abgeschiedenheit.
  • Der Nationalpark Vanoise, ab Tignes. Gletscher, hohe Berge und tolle Bergseen.

Schweiz:

  • Der Norden des Tessin hat mich erneut umgehauen vor Schönheit (und Steilheit). Die Täler der Maggia und Verzasca verzaubern mich immer aufs Neue. Ich liebe das Tessin!
  • Die Gegend um Poschiavo in Graubünden und weiter nach Italien gehört auch zu meinen Favoriten. Vor allem wegen der Schroffheit und den extrem blauen Bergseen.

Österreich / Italien:

  • Den karnischen Höhenweg habe ich wohl schon zu oft in den Himmel gelobt. Verdient er aber auch. Leute, wenn ihr eine Woche wandern wollt, dann macht den karnischen Höhenweg mit seinen tollen Gratwegen und den ausserordentlich schönen Hütten. Aber Achtung: Die Hütten sind immer früh ausgebucht.
  • Die Dolomiten vom Pragser Wildsee nach Sexten gehören natürlich auch auf meine Highlight-Liste. Die drei Zinnen sind wirklich schön, aber ich empfehle auch sehr früh zu starten, denn die Menschenmassen sind schon etwas verrückt. Ausser man mag den Trubel, dann spielt es keine Rolle wann man losgeht.

Slowenien:

  • Dort habe ich wahrscheinlich den tollsten Teil wegen des schlechten Wetters verpasst (Triglav Gebiet) aber der Fluss Soca verdient definitiv auch Aufmerksamkeit. Dort kann man auch super Camper Van Ferien machen mit Wandertrips, Klettersteigen und z.B. Canoeing oder Kajaking.

Was die Via Alpina mich gelehrt hat:

  • Dass ich viel stärker bin, als ich dachte (auf allen Ebenen ;)).
  • Dass so ein Projekt ca. 70 % mental / emotional zu bewältigen ist. Meine Vorstellung von körperlichen Grenzerfahrungen trat nie ein, dafür die emotionalen.
  • Dass ich immer noch Heimweh habe (auch mit 27), wenn ich länger weg bin.
  • Dass eine gute Planung für die Via Alpina mir persönlich einiges erleichtert hat.
  • Dass es mich mit sehr grosser Freude erfüllt hat, in den verschiedenen Sprachen zu kommunizieren und endlich wieder mein Französisch und Italienisch auffrischen zu können. Sozusagen hat mir die Via Alpina (wieder) Französisch und Italienisch beigebracht.
  • Dass ich mich nun auf Stabilität im Leben freue und es kaum erwarten kann, eine Woche im gleichen Bett zu schlafen und nicht jeden Tag mein Zelt abbauen zu müssen.

Auf was ich stolz bin:

  • Gestartet zu haben
  • Alles – also wirklich jeden Meter zu Fuss gegangen zu sein. Nie Autostopp, Bus, Zug, Gondelbahn oder Fahrrad. Ganz nach dem „connecting footsteps“ Prinzip
  • Das Projekt „öffentlich“ angekündigt zu haben
  • Offen und ehrlich (verletzlich) darüber berichtet zu haben
  • Meine Tiefs überwunden und niemals ernsthaft ans Aufgeben gedacht zu haben

Meine Tipps an dich:

  • Hab Mut, probiere es aus, wenn du dir etwas wünschst. Abbrechen kann man immer noch.
  • Es hört sich anfangs immer unmöglich an. Teile dein grosses Ziel in Zwischenziele auf. Bei mir zielte ich immer die nächste Region an, z.B. bald in den Dolomiten zu sein.
  • Pausen. Auch wenn man weiterlaufen mag, Pausen regelmässig einzuplanen kann über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.
  • Bereite dich nicht nur körperlich, sondern vor allem mental auf so ein Projekt vor.

The End
Danke euch allen, die mein Abenteuer mitverfolgt haben. Eure Nachrichten und Kommentare haben mich immer sehr gefreut und motiviert. Mein Ziel war es, Leute zu inspirieren, die Berge zu erkunden – vor allem Frauen. Ausserdem wollte ich diese Reise schriftlich festhalten, um meine Notizen auch noch mit 80 Jahren lesen zu können. Obwohl es unvergesslich bleiben wird, verblassen solche kleinen Momente immer viel zu schnell.

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12 Comments

  • Reply
    Miri Weber
    6. Oktober 2020 at 18:22

    Liebi Christina
    Danke, dass du uns auf deine Reise mitgenommen hast ❤️. Habe mich jede Woche darauf gefreut, deine Erlebnisse zu lesen…. ich bin überzeugt, dass deine letzten Monate auf der via Alpina noch lange “Wellen schlagen wird” – Leute inspirieren, motivieren, begeistern, aufbauen, Mut geben… wird. Freue mich darauf, wenn es deine zusätzlichen Notizen irgendwann in ein Buch schaffen und deine Fotos machen sich perfekt darin. Herzensgrüessli, Miri

  • Reply
    Vee
    6. Oktober 2020 at 19:57

    Schad isch das din letschti Post gsi! Es isch super z lesa gsi und dia schöna Bilder ds gseh!

  • Reply
    Martin Gloeckl
    8. Oktober 2020 at 13:39

    Liebe Christina,
    höchste Hochachtung vor dem Mut, der Ausdauer und deinem Willen!
    Bravo!

    • Reply
      christinara
      13. Oktober 2020 at 14:44

      Vielen Dank Martin für deine lieben Worte!

  • Reply
    Rahel B.
    9. Oktober 2020 at 10:33

    Liebe Christina, wir kennen uns nicht, ich habe aber durch Zufall deine Website und somit auch die Blogposts entdeckt. Es war jedes Mal ein Highlight, wenn ein Update online ging. Danke für die gute Unterhaltung in den letzten Monaten. Ich wünsche dir gute Erholung und viel Erfolg auf deinem weiteren Lebensweg.

  • Reply
    Erika Lischer
    9. Oktober 2020 at 12:45

    Liebe Christina
    Ich gratuliere dir von ganzem Herzen zu deiner hervorragenden Leistung.
    Danke für deinen Blog, er ist unglaublich gut geschrieben. Bravo!

    • Reply
      christinara
      13. Oktober 2020 at 14:44

      Danka vielmals Erika – hoffentlich klappts mit dem Kili!

  • Reply
    Susanne und Andreas
    10. Oktober 2020 at 19:50

    Liebe Christina, wir gratulieren dir herzlich, dass du die ganze Via Alpina geschafft hast. Wir haben deinen Blog mit grossem Interesse verfolgt und mussten manchmal auch schmunzeln. Trotz aller widriger Umstände hast du dein Ziel nicht aus den Augen verloren. Super Leistung! Wir wünschen dir noch viele weitere schöne Abenteuer in den Bergen!

    • Reply
      christinara
      13. Oktober 2020 at 14:43

      Liebe Susanne und Andreas, danke euch vielmals für den lieben Kommentar! Euren Blog habe ich in meiner Vorbereitungszeit öfters besucht, so cool dass wir uns hier vernetzen konnten! Es war ein riesen Abenteuer – unvergesslich! Merci auch fürs Teilen, euer Erfahrungen! Ist immer wieder so wertvoll. Liebe Grüsse aus Flims

  • Reply
    Simone
    12. Oktober 2020 at 9:05

    Liebe Christina,
    gratuliere zu dieser wahnsinnig tollen Leistung.
    Ich hab so gerne “mitgelesen”!

    • Reply
      christinara
      13. Oktober 2020 at 10:18

      Danke liebe Simone, fürs Begleiten auf meiner Wanderung!

  • Reply
    Markus Schily
    16. Mai 2022 at 23:37

    Sehr spannend geschrieben. Bravo.
    Ich bin den Via Alpina von Trieste bis Österreich gelaufen, ausserdem den “grünen Via Alpina” durch die Schweiz. Letztes Jahr lief ich 251 km des Israeltrail. Dieses Jahr gehe ich den Karnischen Höhenweg. Danke für die guten Hinweise.
    Mit vielen Deiner Beschreibungen konnte ich mich identifizieren. Jeder Fernwanderer hat seine Motivation, manchmal ist es auch ein Motivator. Wichtig ist die Bewegung… weiter so!

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