VIA ALPINA

Via Alpina 2.0 – Woche 3 – Kilometeraufholjagd

Ich war wieder allein. Zum ersten Mal seit ich zum zweiten Mal auf der roten Via Alpina wanderte. Nadine verabschiedete ich vor der Knorrhütte. Sie stieg noch zwei Stunden zur Zugspitze auf, und machte sich danach auf den Heimweg. Ich lief ein paar Minuten später los, weil ich mein Necessaire nicht mehr fand. Als ich es endlich wieder hatte, wanderte ich um ca. 8.00 Uhr zum Grattel, den ich gestern wegen dem schlechten Wetter nicht machen wollte. Das Wetter war sehr neblig, aber hin und wieder riss es auf und ich sah die Berge, nur die Zugspitze versteckte sich fast den ganzen Tag. Ich realisierte, wie schön es ist, jetzt alleine zu wandern und fühlte mich unendlich frei. Das mag jetzt komisch klingen, so als hätte ich lieber kein Besuch gehabt. Das stimmt aber nicht, ich war sogar extrem froh zwei Mal Besuch zu haben und hatte viel Spass mit Nadine und Domenica. Doch jetzt war ich bereit dafür allein zu sein, was ich nämlich gerne bin. Beschwingt wanderte ich von der deutschen Seite zurück nach Österreich und sah einen Wanderer vom gestrigen Hüttendabend nochmals, der in Richtung Meran unterwegs war. Trotz wenig Sicht fand ich alles unfassbar toll. Ich kam voran und erreichte gegen Mittag die Coburger Hütte mit den beiden schönen Seen – Seebebensee und Drachensee. Dort gönnte ich mir ein Mittagessen: Knödel-Tris. Immer wenn ich vom Essen erzähle, frage ich mich nun, ob ich es doch lieber weglassen soll. Immerhin beschwerte sich mal jemand online über meine langweiligen Ausführungen übers Essen im Buch. Jedenfalls esse ich sehr viel momentan, da ich noch immer kaum zelte. Und ich liebe es, mich durch die regionalen Spezialitäten zu kosten, solange sie vegetarisch sind. Das mit dem Zelten ist so eine Sache: Eigentlich plante ich wie im 2020 die Mehrheit der Nächte im Zelt zu verbringen und nur zur Not oder bei Pausen in einer Unterkunft (Hütte oder im Tal im Hotel) zu schlafen. Doch ich habe absolut keine Lust aufs Zelten. Zu Beginn regnete es rein, doch jetzt hätte ich ja Domenica‘s Zelt im Rucksack, welches dicht ist. Sie hat meines nach Hause gebracht. Also ist Regen kein plausibler Grund mehr. Ich glaube ich zögere so sehr, weil in den letzten zwei Wochen der Wetterbericht nicht stimmte und immer wieder überraschende Gewitter aufzogen. Ich denke aber auch, dass mir einfach ein bisschen die Lust am Zelten vergangen ist. Ohne Grund. Es ist anstrengender jeden Abend alles aufzubauen und am nächsten Tag abzubauen und sich in der Nacht nicht zu 100% erholen zu können – weil man unsicher ist was das Wetter noch macht, man nicht so bequem liegt oder doch irgendwelche komische Geräusche hört. Das Zelt trage ich zwar noch mit, aber ich akzeptiere, dass die Via Alpina diesen Sommer für mich als Hüttentour besser passt. Vielleicht ändert sich dies ja noch. Komisch ist es aber schon. Zu Beginn war das Wildzelten in den Bergen für mich ja der Grund fürs Weitwandern. Bin gespannt, ob sich diese Einstellung wieder ändert, oder ob ich vielleicht schon genug davon habe eine „richtige“ Abenteuerin sein.

Nach dem Coburger See ging es bergauf zur Biberwierer Scharte. Der Passübergang war sehr schön und es gab einen ziemlich steilen Weg nach Bieberwier ins Tal. Eher nicht zu empfehlen bei Regen. Aber es war ja trocken. Der Abstieg dauerte etwas und kaum im Tal ging es auf der anderen Seite wieder berghoch. Das Wetter war kühler und angenehmer zum Wandern als die letzten Tage. Der erste Aufstieg war sehr waldig. Ich spickte ingesamt sechs (!) Zecken von meinen Beinen. Keine hatte sich festsaugen können. Zum Glück. Oben angekommen ging es direkt zur Wolfratshauser Hütte. Ich hatte ein Zimmer für mich allein, duschte (so viele Hütten haben mittlerweile Duschen!), ass das Hütten-Abendessen und fühlte mich nach den Käsespätzle dem Platzen nahe. Dann las ich mein Buch fertig und ging zu spät schlafen, weil es so spannend war. Ich lese mittlerweile die Krimis der Schweizerin Christine Brand. Ich mag Krimis gar nicht, denn ich bekomme beim Lesen Angst. Doch ihre 4 Bücher (Der Blinde und co.) haben mich total gepackt und ich kann sie (bzw. den Tolino) nicht mehr weglegen.

Am nächsten Tag ging ich zeitig los und stieg ein paar Höhenmeter ab, um dann auf das Sommerberhgjöchle zu kommen. Schon von weitem sah ich, dass der eher einsame Wanderweg durch eine riesige Mutterkuhherde führt. Was mich beunuhigte war, dass die Kühe besonders unruhig waren. Es wurde viel gemuht und der Weg war stets von Kühen und Kälbern versperrt. Ich entschied mich im steilen Hang aufzusteigen und sammelte extra Höhenmeter, um die Tiere zu umgehen. Irgendwie hatte ich heute einfach kein gutes Gefühl. Es war etwas mühsam aber als ich die Kühe hinter mir hatte, war ich erleichtert. Ich fragte mich, warum sie so unruhig waren (schon bevor sie mich überhaupt sahen). Da hätte ich jeweils gerne eine/n Bauern/Bäuerin dabei die mir die Reaktionen der Kühe erklären könnten. Nach dem Pass ging es bergwärts bis ich gegen Mittag Berwang erreichte und im Hotel Edelweiss eine Pause machte. Die holländisch/belgische Familie führt das Hotel erst seit wenigen Monaten und ich wurde super nett empfangen und bekam eine vegi Jausenplatte. Der Gastgeber redete ein bisschen mit mir und bot mir an, eine Bekannte zu kontaktieren – denn diese hatte an meinem heutigen Zielort – Weissenbach an Lech – eine Ferienunterkunft zu vermieten. So kam es, dass er anrief und ich nach dem Mittag loslief und schon wusste, wo ich am Abend schlafen kann. Die Familie der Ferienwohnung (auch aus Holland) war extrem freundlich und ich hatte eine kleine Wohnung für mich allein, die noch in der Renovationsphase war. Ich ging einkaufen und blieb danach den ganzen Abend im Bett.

Ich wachte um etwa 06.00 Uhr auf, packte zusammen um früh loszugehen und dann begann es zu regnen. Meine eh schon tiefe Motivation war gleich ganz verschwunden. Ich trödelte rum und kam später als geplant los. Auf dem Tagesprogramm stand heute eine lange flache Strecke, die ich hinter mich bringen musste. Es war ziemlich langweilig und ich sah keine anderen Menschen. Zum Glück hörte der Regen bald auf und nach etwa fünf Stunden kam der grosse Passaufstieg wieder über die Grenze von Österreich nach Deutschland. Ich wurde schon zweimal vorgewarnt, dass die letzten 500 Höhenmeter teilweise kein Weg zu finden ist. Das bedeutete, ich musste ganz genau mein Komoot checken, um nicht die Route zu verlieren. Die letzte Stunde bis zum Pass war der Weg wieder super, wenn auch etwas fordernder. Es ging steil bis zur Bockkarscharte und die Route hatte viele Sicherungen und Treppenstufen. Mir gefiel dies super! Kurz vor Schluss, bemerkte ich, dass Leute hinter mir waren. Da ich gar nicht gerne eingeholt werde, gab ich etwas Gas und hörte auf rumzutrödeln und zu fotografieren. Auf dem Pass windete es stark und ich stieg zügig ab. Nicht viel später kam ich bei der Prinz Luitpold Hütte an. Die drei Männer hinter mir hatte ich abgehängt. Die Prinz Luitpold Hütte hatte einen tollen Gastraum und ich genoss den Abend mit meinem Buch in einer Ecke – später kamen zwei Frauen an den gleichen Tisch und wir kamen ins Gespräch. Manchmal wenn ich gefragt werde, wie lange ich unterwegs bin, dann fühlt es sich so komisch an, nur von zwei Wochen zu reden. Und wenn ich sage, ich werde insgesamt vier unterwegs sein, dann ist es für die Leute schon viel – für mich fühlt es sich aber nicht nach etwas Grossem an. Deshalb erzähle ich es gar nicht so gerne. Ich weiss noch wie stolz ich war, als ich vor zwei Jahren sagen konnte „ich bin seit 16 Wochen unterwegs“. Meistens glaubten die Leute es mir gar nicht und dachten ich hätte mich versprochen.

Am nächsten Morgen folgt der Abstieg nach Oberstdorf. Ich freute mich, denn es würde ein kurzer Tag werden. Schon bald erreichte ich nach einigen Abstiegshöhenmetern die Kuhalpe und wanderte ohne Halt weiter bis zur Oyalpe. Dort gab es Kuchen zur Stärkung für den letzten flachen Teil. In Oberstdorf angekommen konnte ich es kaum erwarten im Hotel einzuchecken. Es gab viel zu tun: duschen, Kleider waschen, Essen kaufen, Geld holen, alle Batterien aufladen und das beste; In einem anderen Hotel eine Maniküre machen lassen. Endlich waren meine Nägel wieder schön. Der halbe Pausentag war erholend. Eigentlich wollte ich einen Ganzen machen, doch ich entschied mich diesen für Lichtenstein aufzusparen.

Nach Oberstdorf startete ich in Richtung Mindelheimer Hütte. Erst war der Weg flach, dann bei der immer stärker werdenden Mittagshitze und viel Feuchtigkeit in der Luft folgte ein Aufstieg. Doch ich hatte Glück. Manchmal studiere ich intensiv die Karte, wo ich pausieren will. Dieses Mal tat ich dies nicht. So tauchte – gerade als ich mir sagte, in 5 Minuten gibt‘s eine Pause- aus dem nichts ein kleiner Bergsee auf. Nach zwei Mal darin baden, war mein Körper genug gekühlt, um bis zur Hütte durchhalten zu können. Dort gabs feine Kässpätzle (ja schon wieder – ich liebe es) und eine grosse Pause, bevor ich weiterzog. Denn ich plante eine lange Etappe zu machen. Nach 17.00 Uhr erreichte ich noch die Widderstein Hütte und stieg ab zum Hochtannenberg Pass. Von dort war es maximal noch eine Stunde bis zu meinem Ziel, dem Körbersee. Und was für eine Überraschung – obwohl es fast daneben ein verführerisches Hotel gab, entschied ich mich zu zelten. Zu schön war der Ort. Im 2012 wurde der See als schönster Ort Österreichs ausgezeichnet. Ein weiteres Bergseebad folgte als meine Dusche und da es schon spät war, schaute ich noch den Sonnenuntergang, wartete bis alle Leute weg waren und baute das Zelt auf. Kurze Zeit später war ich „schlaf-ready“.

Am nächsten Tag wachte ich versteift auf. Weil ich nie im Zelt schlief, gewöhnte ich mich auch nicht daran. Doch immerhin war es ruhig und warm. Schnell war alles zusammengepackt und um 06.30 Uhr war ich bereits unterwegs nach Schröcken. Von Schröcken ging es dem Fluss entlang bevor der Aufstieg zur Biberarcher Hütte folgte. Als ich ankam und das Schild sah „Buchboden 2.45h“ entschied ich mich, eine lange Pause zu machen. Ich hatte nämlich gedacht, dass es noch viel länger dauern würde bis an mein Tagesziel. Als ich dann wieder weiterwanderte, stellte sich jedoch heraus, dass es mehrere Wege nach Buchboden gibt und die Via Alpina meist auf dem Schönsten und nicht auf dem Schnellsten Weg zum Ziel führt. Also dauerte es doch etwa doppelt so lange, bis ich ziemlich k.o Buchboden erreichte und in einem Hotel ein Zimmer bekam. Ich wusch meine Kleidung und dieses Mal auch so gut es ging meinen Rucksack. Damit meine ich das verschwitzte Rückenteil und die Träger. Es funktionierte super und er roch danach richtig gut. Erstmals seit langem!

Der Wecker läutete um 05.00 Uhr. Ich wollte sofort los, doch ich war mal wieder sehr demotiviert, denn ich wusste, heute erwartet mich ein Wandertag wie ich ihn nicht mag. Selten begangene Wege im Wald (heisst Dschungel-Style und Spinnweben im Gesicht), Asphalt, keine Aussichten und grosse Hitze. Deshalb wollte ich früh starten, doch ich kam erst um 06.30 Uhr los. Die ersten drei Stunden war ich der Verzweiflung nahe. Die Waldwege brachten mich um den Verstand, denn ich wurde von unglaublich vielen Bremsen angegriffen und deren Stiche taten weh. Manchmal schlug ich nur noch hilflos um mich, sogar den Tränen nahe. Es gab kein entkommen. Doch gab es – ich entschied mich, dass es das kleinere Übel sein würde, den Rest der Strecke der Hauptstrasse entlang zu laufen. Nicht schön für die Füsse, aber es ging zügiger vorwärts. Taletappen sind bei mir sowieso nur Etappen, dich ich einfach hinter mich bringen muss. Freude verspüre ich erst wieder, wenn ich in den Bergen bin. Um 13.00 Uhr machte ich eine Pause und hatte schon 40‘000 Schritte auf meiner Uhr aufgezeichnet. Auch zeigte es 34 Grad in Satteins an. Von dort wanderte ich nach Frastanz. Feldkirch liess ich aus, denn ich wollte nicht im Ort schlafen, sondern in der Feldkirchner Hütte. Im letzten Aufstieg kam ich an meine Grenzen, die Hitze war unerträglich. Im Amerlügen, in der Hälfte des Aufstiegs gab es einen tollen Brunnen und ich pausierte über eine Stunde mit den Füssen im kühlen Wasser. Meine Beine hatten wieder den Wanderauschlag und waren zudem total verstochen. Als ich endlich auf der Feldkirchner Hütte ankam, wurde ich total freundlich von Steve empfangen. Der Berliner führt die Hütte noch nicht lange, doch er war ein hervorragender Gastgeber – ich fühlte mich pudelwohl. Ich lernte noch ein paar Feldkirchner kennen, die zum Feierabend Bier oben waren. Da ich die einzige Gästin in der Hütte war, kamen wir alle ins Gespräch und redeten übers Weitwandern (war nicht die einzige Weitwandererin der Diskussionsgruppe). Auch sprachen wir über Kühe und der andere Weitwanderer meinte, er tue sich den Stress nicht mehr an und habe daher nun immer Pfefferspray für den Notfall dabei. Hatte ich mir noch nicht überlegt, aber ganz unrecht hat er damit nicht. Bis jetzt hatte ich immer Glück, aber 2020 rannte ich auch schon von Kühen davon. Wie schnell sie sind, und wie gross – wer schon mal das Gleiche erlebt hat wie ich, wird wohl nie mehr unbeschwert durch eine Kuhherde wandern. Ich genoss den Abend in guter Gesellschaft und freute mich auf Liechtenstein. Damit hatte ich nämlich die acht Via Alpina Alpenländer erwandert. Der nächste Tag wird auch der Start in die letzte Via Alpina Woche.

Ich hörte in dieser Woche wieder von Franzi aus Deutschland. Corona hatte sie erwischt und daher musste sie die Via Alpina unterbrechen und nach Hause, was mir total leid tat. Frank hatte ich mittlerweile etwas eingeholt – er ist nur 2 Stunden weiter in der Gafadurahütte. Vielleicht sehe ich ihn nochmals, nach fast zwei Wochen hinter ihm herwandern. Er schreibt mir jeweils, wenn etwa aussergewöhnliches auf der Route kommt (z.B Wegsperrung).

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1 Comment

  • Reply
    Eléonore
    21. Juli 2022 at 17:52

    So cool to read you, even if I have a lot of information almost in real time ha ha.
    I don’t think you should stop talking about food ha ha. It is one of the biggest concern when thru hiking, so it wouldn’t match the reality not writing about it a lot, just my opinion ;).
    Enjoy your final week!

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