Wir sind wieder unterwegs. Am 2. August 2024 starten Domenica und ich, um die Via Glaralpina Etappen 13-19 abzuschliessen. Letztes Jahr im September überraschte uns ein zwischenzeitlicher Wintereinbruch mit je nach Abschnitt bis zu 50cm Schnee. Die Routen waren nicht mehr begehbar und so entschieden wir uns, die Etappen auf den Sommer 2024 aufzusparen, anstatt diese zu umgehen. Das Highlight der Via Glaralpina sind die vielen Abschnitte im T4 Bereich (Alpinwanderwege / Blau & Weiss).
Blogbeitrag Woche 1 im 2023:
Blogbeitrag Woche 2 im 2023:
Blogbeitrag Woche 3 im 2023 mit Abbruch:
Hier folgt der Bericht zur Woche 3, Versuch 2, im Sommer 2024:
Tag 1:
Domenica schreibt mir frühmorgens, dass es eine Planänderung gibt und unsere Fahrmöglichkeit zur Alp Quader bei Brigels ausfällt. Das bringt kurzzeitig meinen Zeitplan durcheinander. Mein Rucksack ist noch nicht gepackt und ich bin eben aufgestanden. 20 Minuten bleiben noch, bis der Bus, meine Alternative, fährt. Mist. Doch als mein Bruder Gian von meinem Problem hört, bietet er kurzerhand an, den Chauffeur zu spielen. Danke Gian an dieser Stelle. Ich packe also in Ruhe weiter, danach gehen Gian und ich gemeinsam Frühstücken in Ilanz und warten bis Domenica mit dem Zug ankommt. Es geht von Ilanz mit dem Auto zur Alp Quader, oberhalb von Brigels. Während der gesamten Fahrt regnet es. Als wir ankommen haben Domenica und ich kein Bock auszusteigen und loszuwandern. Aber was solls, wir werden heute wohl eh noch nass. Wir schnüren unsere identischen Wanderschuhe (La Sportiva Trango Fans), ziehen die Regenjacke an und verabschieden uns von Gian. Beim Start fühlen wir uns beide träge und unmotiviert. Wir müssen etwa zwei Stunden aufstiegen, bis wir wieder die Via Glaralpina Route erreichen. Es ist alles nass und matschig, Aussichten geniessen wir auch keine – denn wir sehen aufgrund vom Nebel nicht viel. Wie immer frage ich zu Beginn unserer Wanderungen: „Standortanalyse: Was sind deine Problemstellen und Sorgen für die nächsten Tage?“. Domenica erklärt ihre Beschwerden und ich meine. Im Vergleich zum Start 2023 sind meine kleiner, dafür sind wir jedoch beide etwas weniger fit – beide kamen wir verhältnismässig etwas weniger zum Wandern und so keuchen wir heute mehr als üblich. Wahrscheinlich sind wir auch etwas langsamer als gewöhnlich. Ich finde, es ist immer gut zu wissen, was die Probleme des anderen sind, um sich, wenn möglich, gegenseitig unterstützen zu können.
Wir steigen höher und höher und endlich ist der doofe Sessellift aus unserem Sichtfeld verschwunden. Beide wurden wir von dessen Anblick massiv provoziert. Denn der Sessellift, der uns fast bis zur Via Glaralpina bringen würde, läuft nur im Winter. Unter einem Sessellift hochzuwandern finde ich grundsätzlich blöd. Aus den Augen, aus dem Sinn. Auf einer kleinen Alp lernen wir Ottmar und Hündin Gaia kennen und quatschen ein bisschen. Einige Hundert Höhenmeter weiter oben, umrunden wir den Piz D’Artgas und kommen zur Falla Lenn. Das Wetter ist doch einiger besser als erwartet, es bleibt jedoch bedeckt. Unterwegs sehen wir heute viele „Mungga“ und eine Frau, die zahlreiche aneinander angemachte 1. August Ballone ins Tal nimmt (Abfall). Alle drei finden wir solche Aktionen dämlich. Wieso macht man sowas auch noch im 2024? Man weiss doch, dass Tiere daran sterben können. Wir passieren noch zwei weitere Passübergänge (Forcla da Gavirolas und Forcla Fluaz) sowie einen sehr schönen Wasserfall und meistern einen letzten Anstieg auf den Panixerpass. (Übrigens kurz vor dem Panixerpass gibt es eine Schafherde die von einem (oder mehreren, weiss ich nicht) Herdenschutzhunden beschützt werden. Achtung: Uns wird gesagt, dass der Hund am Tag davor leider zwei Wanderer und ein Mountainbiker gebissen hat.) Schon über sechs Stunden sind wir unterwegs. Es folgt ein spätes Mittagessen bzw. Abendessen: Käseschnitte und Zigerhörnli bei Maya im neuen Panixer Bascamp.
Letztes Jahr war das Basecamp der Alpinschule Glarnerland bei der Glärnischhütte, da diese im Umbau war. So konnten Bergsteigende in Zelten übernachten und wurden im Verpflegungszelt gestärkt. Eine tolle Idee! Die Hütte ist nun fertig und ein Teil der Basecamp-Ausrüstung (Zelte etc.) ist nun auf den Panixerpass umgesiedelt. Denn dort stand bisher die kleine Panixerpasshütte. Diese ist eine Selbstversorgerhütte und bereitet schon seit Jahren kleinere und grössere Probleme. Darüber reden wir im Panixer Basecamp auch mit Maya.
Davon erzähle ich euch ein bisschen:
Die Selbstversorgerhütte auf dem Panixerpass ist meist in schlechten Zustand (dreckig). Die Schuld liegt bei den Benutzer:innen. Ich selbst war schon beim Pass und kenne die Hütte, hatte aber keine Lust dort eine Nacht zu verbringen, weil es mich ehrlich gesagt etwas „gruste“. Hier eine kleine Liste, was dort schief läuft: Das Geschirr wird nach Gebrauch oft nicht abgewaschen. Holz wird verbrannt, teilweise als grosses Lagerfeuer vor der Hütte, weil es ja so schön ist – schonender Umgang mit den Ressourcen Fehlanzeige (Holz, damit man in der Hütte nicht friert und kochen kann wird mit dem Heli hochgeflogen), der Abfall wird auch liegengelassen. Ach ja und der Übernachtungsbeitrag, sowie der Eintrag ins Hüttenbuch wird anscheinend auch ignoriert.
Da man sich nicht anmelden kann, kann es sein, dass man ankommt und es keinen Platz mehr gibt (es sind etwa 12 Plätze und eine kleine Koch- und Essecke). Es gab auch vereinzelt Phasen, wo irgendwelche Leute drei Wochen am Stück in der Hütte „wohnten“ und andere Leute wegschickten und sagten, nein sie dürfen hier (trotz Platz) nicht schlafen, sie hätten diese gemietet, weshalb diese dann irritiert, wieder abstiegen, da es keine Alternative gibt. Solche Probleme bereiten mir Sorgen. Ich finde es so krass, dass es so respektslose Menschen gibt, sobald die Kontrolle fehlt. Ich finde, es braucht eine grössere Hütte mit Bewartung. So kann für Recht und Ordnung geschaut werden. Oder eine Registrierung für die Selbstversorgerhütte durch Anmeldung, wo man einen Code für den Zugang erhält. So sind alle Daten erfasst und Schäden können besser nachgewiesen werden.
Und nun kommen wir zum zweiten Punkt, der mich auf dieser Wanderung beschäftigt (danach geht es nur noch ums Abenteuer und die Route, versprochen):
Domenica und ich sind wie gewohnt mit dem Zelt auf der Via Glaralpina unterwegs. Heute Morgen im Zug, stiess Domenica auf die Info, dass seit dem 1. August (es ist der 2. August, was für ein Timing) ein Zeltverbot im Gebiet „Glarus Süd“ gilt. Der Grund: Der Kanton Glarus hatte lange Zeit erleichterte Camping-Regeln für Campervans und Zelte. Diese Situation überbordete in den letzten Jahren. Anscheinend seien an einem schönen Wochenende bis zu 50 Zelte auf dem Muttseekopf. Der Hype fürs perfekte Bild mit dem Zelt in den Bergen ist gross. Und ja ich fühle mich mitverantwortlich und manchmal auch schuldig, da auch ich auf Instagram ein schönes Bild von meinem Zelt in den Bergen poste und mit meinem Buch und Wanderberichten, Menschen inspiriere in den Bergen Zeit zu verbringen – bzw. den Hype befeure. Doch die Masse allein wäre noch nicht das Problem, wenn sich alle anständig und mit Respekt gegenüber der Natur verhalten würden. Die Region, als Beispiel das Gebiet um die Muttseehütte sei die Leidtragende. Das WC der Hütte wird ohne Konsumation benutzt, der Abfall vor der Hütte hingestellt (wenn überhaupt – anscheinend auch der benutzte Einweggrill, like wtf?), wenn es im Zelt dann doch zu kalt wird, werde in der Gaststube geschlafen und zahlen möchte man dann doch nicht. Aber das aller Schlimmste, ich kanns kaum glauben: Tatsächlich gab es Leute, die ihre Zelte (kaputt oder schlecht, wie auch immer) nach Gebrauch einfach stehen lassen. Davon habe ich gehört, dass sowas an Musik-Festivals passiert. Unfassbar für mich. Aber in den Bergen – was läuft falsch mit uns Menschen?! Wie kann man den Mut haben, das Zelt in den Bergen stehen zu lassen und nach Hause zu gehen, weil man kein Bock mehr hat es abzubauen / zu entsorgen? Jedenfalls werden neu Bussen verteilt. Meiner Meinung nach eine gute Sache, auch wenn das neue Verbot mich miteinschränkt.
SRF Beitrag: SRF News – Glarus Süd sagt Wildcampen den Kampf an
Okay Christina, beruhige dich, „rumhaten“ bringt auch nicht viel.. Wichtig ist, wenn ihr das liest: Bitte, bitte, geht liebevoll mit der Natur um, macht keine Lagerfeuer für schöne Bilder (kocht mit dem Gaskocher), nehmt den Abfall mit, lasst nichts liegen (auch keine WC-Papierli), nutzt die SAC Hütten nicht aus. Weil so, gibt es immer mehr und mehr Verbote. Das wollen wir alle nicht. Danke, dass ihr mithelft und andere, die es vielleicht noch nicht besser wissen, aufklärt oder Abfall am Wegesrand aufsammelt und im Dorf entsorgt.
PS: Ich fühle mich nicht gut, wenn ich diesen Frust so öffentlich von der Seele schreibe. Haten tut doch niemandem gut. Gleichzeitig erhoffe ich mir damit, dass es etwas bewirkt (Reichweite nutzen) und wir alle einen besseren Umgang pflegen.
Weiter mit der Via Glaralpina:
Es gilt also ein Zeltverbot auf unserer Route. Nicht gut. Nach dem Abendessen steigen wir trotzdem weiter und nehmen den Beginn der Etappe 14 in Angriff. Diese liegt auf der Kantonsgrenze Graubünden und Glarus. Das Ziel ist es auf der Bündner Seite zu übernachten.
Wir erreichen einen kleinen See, baden, (ich so: ah ist gar nicht kalt der See -> bleibe 5 Minuten im Wasser -> eiskalter Körper -> friere bis 02.00 Uhr nachts, bravo Christina! Pluspunkt: Meine verbrannten Wädli wärmen mich wie eine Wärmeflasche), stellen das Zelt auf ca. 2600 Metern auf und schon zieht eine Gewitterfront über uns.
Gegessen haben wir glücklicherweise schon, sodass wir uns ins Zelt verkriechen. Beim Zähne putzen beobachteten wir das Schauspiel am Himmel. Ein Blitz nach dem anderen erhellt die Nacht, zum Glück mit genügend Abstand zu unserem Schlafplatz. Der Meteobericht zeigte keinen Regen an, doch es regnet die ganze Zeit. Auch sind Domenica und ich uns nicht gewohnt gemeinsam im Zelt zu schlafen. Normalerweise sind wir mit unseren Einzelzelten unterwegs. Aber mein neues Zelt (Mira HL II von Exped) ist super leicht und wir sparen so Rucksackgewicht. Im Zelt sind wir gehyped nach dem Bad im See in den schönen Bergen. Wir fühlen uns wie die coolsten Frauen die es gibt, alleine so alpin unterwegs zu sein, total unabhängig! Zwei Minuten später, als der Wind unser Zelt etwas zusammenstaucht, schaue ich Domenica an und sage: „Hesch au Angst?“ 😀 Und wieder einmal, müssen wir über uns selbst lachen.
(Wow, vier A4 Seiten Text für den ersten Wandertag, Rekord – wer hat tatsächlich bis hierhin gelesen?)
Tag 2:
Der Wecker klingelt um 06.15 Uhr. Um 7.00 Uhr wollen wir die Königsetappe starten. Von hier über den Vorab auf über 3000 Metern über Meer bis zur Martinsmadhütte und noch weiter. Diese Etappe ist nun blau / weiss gekennzeichnet, also somit anspruchsvoller. Doch es regnet noch immer und so stellen wir den Wecker um 8.30 Uhr erneut. Auch beim zweiten Wecker: Noch immer Regen und starker Nebel. Um 10.20 Uhr brechen wir auf, es tröpfelt noch, hört aber bald auf. Lustig ist, dass Domenica mir erzählt, dass sie in der Nacht ein Jaulen gehört habe. Sie dachte dann, dass ich träume und die Jaulgeräusche von mir kämen. Aber anscheinend war es nach einem Check doch nicht ich. Auch ich habe das Gefühl, trotz Ohrenstöpsel in dieser Nacht etwas gehört zu haben. Dann war es vielleicht doch irgendein Tier.
Wir wandern bis zu Andy’s Hütte, sehen Gämsen und Steinböcke. Diesen Teil der Route der nun folgt, kenne ich. Aber nur im Winter, mit der Abfahrt im Hexencouloir. Wir sind noch immer in dickem Nebel unterwegs und meistern trotzdem gekonnt die Schlüsselstelle. Eine kurze, aber ausgesetzte Felswand mit einer Kette. Ziemlich cool! Es folgen einige Höhenmeter auf und ab und wieder berghoch. Und schon stehen wir auf dem Bündner Vorab auf über 3000 Metern mit Sicht auf den Vorab Gletscher. Dieser hat viel mehr Schnee und Eis als normalerweise um diese Jahreszeit. Ich freue mich schon wieder auf den Winter.
Wir wandern weiter und sind etwas kaputt, eine Pause haben wir noch keine gemacht. Durchgefroren und auch durchgeschwitzt erreichen wir kurz vor dem Glarner Vorab die Bügellift Kontrollkabine. Sie ist offen und wir fliehen vor Wind & Kälte für eine Stärkung in die „Wärme“. Als wir weiterwandern, ist das Wetter besser. Der Abstieg übers Bündnerbergjoch zur Martinsmad folgt. Ich kenne den Grossteil schon und freue mich. Der obere Teil ist noch easy, doch dann ganz zum Schluss folgt das Schwarzwändli. Diese kleine schwarze Wand ist ziemlich steil, durchgehend mit Ketten gesichert und wirklich nur für erfahrene Bergwanderer:innen. Wir kommen sicher auf der Fläche an und erreichen um ca. 17.00 Uhr die Martinsmadhütte. Wir fragen ob es noch einen Schlafplatz gibt (Problem Zeltverbot), doch die Hütte ist ausgebucht. Also sputen wir uns (fürs letzte Bähnli) und steigen weiter ab bis zur Tschinglenalp (haben 50 Minuten gebraucht, der Mann auf der Martinsmadhütte meinte er braucht nur 37 Minuten – unsere Ausrede: haben schweren Rucksack und müde Beine von total 2000hm Abstieg an diesem Tag). Dort nehmen wir die Bahn nach Elm. Denn diesen Teil sind wir letztes Jahr schon gelaufen auf der Glaralpina. Einige Etappen machen wir also quasi doppelt.. In Elm angekommen erfahren wir, dass der Camping gesperrt ist (Murgang / Überschwemmungs – Gefahr oder so). Kurzerhand wurde dieser hinter das Hotel Segnes verlegt. Larissa (Hüttenhilfe auf der Martinsmad, haben wir im Bähnli kennengelernt) nimmt uns mit von den Bergbahnen zum Camping. Beim Camping machen wir die gewohnte Wander-Katzenwäsche, bauen das Zelt auf und ich gehe in meinen Pyjamahosen (erkennt man aber nicht) und Primaloftjäckli schick Abendessen. Im Restaurant Elmer essen wir die feinen Vegi Capuns – wie letztes Jahr. Vom Dorf sieht man schon den Fahnenstock, unser Ziel von Morgen. Es wird heiss und streng. Und wir freuen uns noch nicht auf diese Anstrengung, zu sehr schmerzen die Knie noch von heute.
Tag 3:
Was für ein Start! Wir wollten uns ein Frühstück im Hotel Segnes beim Camping gönnen. Familie Rhyner führt das Hotel und deren Sohn ist mit meinem Bruder im Schweizer Freeski Nationalteam . Beim Frühstück stärken wir uns und plaudern mit Susanna über das Leben, den bisherigen Sommer und die Route zum Fahnenstock (es sei steil und manchmal matschig). Als wir zahlen wollen, lädt sie uns ein. Wir freuen uns sehr und hinterlassen einen Beitrag im Tringeldkässeli. Danke an Susanna und Werner.
Der Donnerstag ist heiss und „tüppig“. Wir steigen über den nicht ganz so tollen Wanderweg (zugewachsen, nicht gut erkennbar) bis zur Alp bei Gamperdun auf. Dort pausieren wir etwa eine Stunde, weil es einen Brunnen gibt und wir schon literweise Flüssigkeit in unsere Merinoshirts reingeschwitzt haben (wä – wie viele Liter meine Shirts insgesamt wohl schon aufgesogen haben?!). Ich jammere heute viel, wie immer wenn es heiss ist. Wir wandern das letzte Stück bis zum Fahnenstock. Ich zuerst mit meiner Playlist „Italian Classics“ im Ohr (Schritte im Ti aaaamo… Ti aaamoo-Beat), dann als ich noch weniger Bock habe, muss ich mich mit meiner eigenen „Girlboss“ Playlist motivieren haha (viel Nina Chubba etc.).
Endlich angekommen! Doch mir grauts vor dem Abstieg. Diese Wanderetappe war für mich schon zu Beginn eine, auf welche ich mich nicht wirklich freute. In einer steilen Grashalde soll der Abstieg sein. Ich weiss das grasige, feuchte Wege viel schlimmer sind, als wenn man über steile Felswände abklettern muss. Und genau so ist es. Zu Beginn alles noch okay, doch dann wie erwartet, hohes Gras, kein erkennbarer Weg (die Pfosten als Markierungen jedoch schon) und etwas Matsch. Es ist so unangenehm. Wir gehen mit einem Stock und halten uns mit der anderen Hand bei fast jedem Schritt am Gras fest. Die Belastung, die seitlich auf die Füsse einwirkt, ist die perfekte Grundlage für Fehlbelastungen, was wiederum für Blasen sorgt. Dazu diese Hitze. Nun fluche ich noch mehr. Und wie immer, mache ich mir Sorgen um Domenica. Doch sie meistert diesen Abschnitt super. Beide sind wir heilfroh, als es flacher wird und wir den mühsamen Teil hinter uns lassen können. Niemals würde ich diesen Abschnitt bei Regen, nach Regen oder bei Schnee machen. Viel zu gefährlich. Das Coole – ich habe bei Insta gepostet, dass der Abschnitt mühsam ist und daraufhin meldete sich das Via Glaralpina Team für weitere Infos. Evtl. ist dieser Teil bald etwas besser, dass wäre nicht schlecht für alle weiteren Glaralpina Wanderer:innen.
Beim kleinen Aussichtspunkt halten wir, ich bin ziemlich durch – die Sonne brennt wie verrückt. Es ist Nachmittag und ich habe noch fast nichts gegessen. Fehler. Das rächt sich nun. Domenica ist fideler als ich, ihr geht es gut. Doch ich reisse mich zusammen und wir steigen ab. Wir überqueren im Tal den Bach und steigen nochmals 200 Höhenmeter auf, bevor wir (auch wie letztes Jahr) wieder das Gasthaus Edelwyss erreichen. Dort gönnen wir uns einen Zmittag/Znacht, Dessert und Kuchen für später, sowie ein Zimmer (Duschen, Kleider von Hand waschen, Zelt trocknen, Akkus laden). Domenica trinkt ein alkoholfreies Bier und ich bestelle ein Traubensaft. Ich bin echt durch. Aber weil man beim Blutspenden Traubensaft bekommt, rede ich mir ein, etwas Leben in meine Adern zurückzupumpen. Wir witzeln drüber, dass ich heute eh ein Leben gespendet habe (weil ich so am Ende bin) und Domenica evtl. einen grossen Zeh (vom zu steilen bergab Weg). Im Zimmer poste ich eine gefühlte Ewigkeit Instastories und Domenica schaut Beachvolleyball bei Olympia. Die Kleider trocken wir mit dem *Tüachli einrollen und ausringen* Trick.
Tag 4:
Es ist Halbzeit! Um 06.45 Uhr starten wir den Wandertag. Alle vier Fersen sind bereits mit Compeed geschützt. Ein Aufstieg von 1700 Höhenmeter und eine schwierige Route zum Gulderstock steht an. Letztes Jahr mussten wir diese abbrechen und umkehren wegen dem vielen Schnee, den Rest sind wir teilweise umgangen. Bei der Alp machen wir eine kleine Pause, wir nehmen Colas mit für auf den Weg (Zucker) und die Älplerin erzählt uns, dass sie einspringen musste, weil jemand den Job auf der Alp angenommen hatte und wieder abgebrochen hat (zu streng sei es, falsche Erwartungen). Beim Sunnenhöreli machen wir eine Pause bis ca. 10.00 Uhr. Gleich gilt es ernst, jetzt folgt der Grat zum Gulderstock. Ich liebe diese ausgesetzten Kraxelpassagen. Wir steigen in den schwierigen Teil ein und kommen gut voran. Durch die Schwierigkeit verlangsamt sich das Tempo jedoch etwas. Ich immer voraus, wenn nötig mit Tritt- und Griffinputs für Domenica. Gegenseitig fragen wir uns immer wieder, ob wir uns noch wohl fühlen und alles okay ist (jö sind wir ein cutes Team, oder?). Beide sagen wir auch, dass unsere gegenseitige grösste Angst ist (nachdem wir eine weitere Todeszone-Passage überwunden haben, so 15 Stück an diesem Tag), dass der anderen etwas passiert. Also ganz wichtig, konzentriert bleiben. Beim Gulderstock auf über 2600 Meter können wir die Rucksäcke unter dem Gipfel liegen lassen, steigen kurz hoch und wieder ab. Es geht gefühlt zehnmal einfacher ohne den Rucksack.
Es folgt der Abstieg auf dem Guldergrat. Viele Steinbrocken gilt es zu überwinden, die Exponiertheit (oder wie sagt man das richtig?) ist jedoch weniger geworden. Wir kommen gut voran, es ist sehr schön, der Grat wird teilweise zu einer Wiese. 1/3 der Route haben wir, es ist nun schon früher Nachmittag. Long way to go. Da stossen wir auf einmal auf eine Geländeveränderung. Der Stein wird rötlich und die Breite des Grates wieder sehr schmal. Wir robben teilweise über Passagen (nervige, flache und rutschige Verrucano-Platten), die sehr ausgesetzt sind. Ich sage: Shit, eigentlich dachte ich, wir hätten den schwierigen Teil hinter uns! Bin gar nicht mehr parat für so viel Action. Wir nennen diesen Abschnitt (weil rot, fies und bizli hinterhältig) „Tüfelsgrat“. Doch irgendwie finde ich es auch richtig cool. Kurz vor dem Gipsgrat finden wir einen Mini-Fleck Schatten. Endlich. Es ist echt übel, immer so in der prallen Sonne zu wandern. Der Gipsgrat ist zu Beginn auch nochmals etwas anspruchsvoller, doch da haben wir innerlich schon völlig resigniert und lassen alles über uns ergehen. Harter Tag.
Oben auf dem Gipsgrat sehe ich Schnee und lege mich aufs Altschneefeld. Ich bin soooo überhitzt. Und wenn es so heiss ist, mag ich nicht mehr essen. So habe ich den Fehler vom Vortag wiederholt und einen kleinen Energie-„Zusammenbruch“. Domenica geht es ganz okay. Sie ist die Schlauere von uns beiden haha. Nach Nüssli, Riegel, Gummibärli in vegan etc. geht es mir besser und wir wandern den letzten Abschnitt zum Wissmeilen Gipfel. Der Spitzmeilen steht daneben (dort oben stand ich, als ich den Sardona Weg machte). Wir wandern auf der Krete zum Pass und steigen ab. Endlich. Der Weg ist nun ganz einfach. Es tut so gut, sich mal nicht mehr konzentrieren zu müssen.
Wir wandern an zwei Alpen vorbei und kommen zur Skihütte Mülibachtal, Wer den Blogbeitrag 3 vom letzten Jahr gelesen hat, weiss, dass wir den Ort lieben. Werner erwartet uns freudig – so eine gute Seele! Wir campieren auf Abmachung vor der Hütte (Domenica baut alleine das Zelt auf, weil ich so faul bin und rumliege) und baden wieder im Brunnen (juhu sauber ins Bett). Domenica bekommt sogar ihr alkoholfreies Bier „in den“ Brunnen serviert – what a life! Wir fühlen uns auf Werners Hütte extrem willkommen und er sagt, er mache es noch so lange er nicht grummlig werde. Davon ist er aktuell noch sehr weit entfernt. 😉 Wir essen allerfeinste Spaghetti von Werner zum Znacht und leckeren Kuchen. Danach spielen wir Quixxs mit Lösli, da die Würfel zu Hause vergessen wurden. Leider ist das Spiel mit den Lösli sehr langsam und macht keinen Spass. Ab ins Bett!
Tag 5:
Heute haben wir auf der Etappe 17 keine Einkehrmöglichkeit, das Naturfreundehaus Fronalp ist geschlossen. Ausserdem haben wir keinen Kocher dabei, nur Riegel. Also dürfen wir bei Werner etwas Brot und Käse als Lunchpaket abkaufen. Wir essen um 06.30 Uhr Frühstück, plaudern noch mit Werner (wie habt ihr euch kennengelernt fragt er – wir erzählen die Geschichte, dass wir uns seit über 20 Jahren kennen und uns 15 Jahre lang nicht leiden konnten haha).
Nach dem Frühstück steigen wir auf zu den Widdersteiner Furgglen. Ab dort geht der Weg über die Chüebüch zum Gufelstock hoch. Es ist wieder ein Dschungelweg, verwachsen, sumpfig, mühsam. Kurz vor dem Gipfel finden wir einen Mini-See (sieht aus wie ein Infinity-Pool). Wir pausieren und „baden“ (es hat nur etwa 10cm tiefes Wasser). Aber egal, für eine Körperkühlung reicht es glücklicherweise doch. Wir treffen Trailrunner und mir fällt auf, dass diese selten grüssen. Aber ganz ehrlich, würde ich „trail runnen“ hätte ich auch kein Schnauf mehr übrig für ein Hoi. 😀 Auf dem Gufelstock angekommen sehen wir die bekannten Fessiseen, auch ein Zelt-Hotspot, auf der andern Seite die Murgseen. Wir wandern über den Grat der grandios ist, aber wie jeden Tag bisher, sehr heiss und ohne Schatten. Auf dem Schwarzstöckli machen wir Pause und cremen unsere roten Nacken erneut ein. Sogar das Glarnertüachli müssen wir als Halstuch zum Sonnenschutz anziehen (stylisch). Dann folgt ein langer Abstieg zum Naturfreundehaus Fronalp. Eine Odysee für mich. Nun fällt mir beim Schreiben auf, dass immer ich recht gelitten und gejammert habe. In meiner Erinnerung war Domenica immer fit und munter (Anmerkung von Domenica: “Vergiss nicht wie fertig ich war, als ich das Tschinglenbähnli nach Elm erreicht hatte :D”. In Krisen bin ich dafür die „Manifestier-Königin“. Immer wenn ich kein Bock mehr habe (bei jeder Wanderung jeweils die letzte Wanderstunde), fantasiere ich, was alles noch Tolles passieren könnte: „Also wir kommen beim Naturfreundehaus an und obwohl es geschlossen ist, sagt der Wirt – ah kommt nur, wollt ihr etwas zu trinken? Und: Ja hey wenn ihr möchtet, könnt ihr auch kurz Duschen. Oder: Ich koche für mich Znacht, wollt ihr mitessen?“. Etwa so, wie wenn ich mir „Hüttenbüsis“ und Älplermacaroni zum Znacht wünsche (Beitrag 3 von 2023). Abends erreichen wir das Berggasthaus, sehen ein Schild davor und entziffern von sehr weit weg: „Herzlich Willkommen“ – juhu ist es offen? Als wir näher kommen, sehen wir, dass steht: „Heute Ruhetag“. Oh schade.
Doch hier kommt der Plot-Twist: Wir kommen an, der Wirt sieht uns, bittet uns herein, wir bekommen eine Holundershorle. Check. Er sagt es gäbe eine Dusche im Waschmaschinenraum und zeigt sie uns. „Hier sind noch zwei Tüachli fürs Duschen“. Check. Das Zelt können wir in der Nähe aufstellen (sind jetzt auch in Glarus Nord, kein Zeltverbot mehr). Check. Unglaublich – wieder mal hat es funktioniert. Domenica und ich sind mega glücklich. Wir geben 20.- Fr. für die beiden Getränke (als Danke fürs Duschen). Der Ort bei der Fronalp kann mit dem Auto besucht werden, ohne Bewilligung. Also schmeisse ich die Pizzakurier Idee in die Runde. Domenica und ich spielen wieder mal „Schere, Stein, Papier“ (sie verliert wieder, sorry) und muss einen Pizzakurrier anrufen und fragen, ob dieser 40 Minuten zu uns fahren würde, um Pizza auszuliefern. Höchste Überredungskunst ist gefragt. Wir sind bereit einen Aufpreis zu zahlen. Doch dieser ist nicht nötig, nach einer Abklärung im Team, wird uns bestätigt das wir mit unserer riesigen Bestellung (2 Pizzas, 4 Getränke, Knoblibrot, Tiramisu) beliefert werden. Domenica hat super verhandelt! 😊 Um 19.00 Uhr ruft der Kurrier an: „Ich stehe vor einer Rampe, kann man hier durch?!“. Gemeint sind die Viehzäune, durch die man fahren kann. Wir sehen das Pizza-Lieferauto den Berg hochfahren, laufen entgegen, winken freudig. Der Pizzakurrier hält an, steigt aus und ruft: „BESTE TOUR MEINES LEBENS!“ Er bittet uns ein Foto von ihm zu machen. Diese Auslieferung werde in die Restaurant-Geschichte eingehen. Wir lachen gemeinsam, sind überglücklich und freuen uns auf die Pizza, welche wir mit Blick auf Mollis bei Sonnenuntergang essen. Nur die sehr mühsamen Mücken, nerven ein bisschen. Was für ein Tagesabschluss. Das Tiramisu essen wir im Zelt.
Tag 6:
Wow, mein Sleep Score ist heute Morgen bei 82. Umso älter ich werde, desto mehr Mühe habe ich mit Zeltnächten (autsch, die Hüfte, der Rücken, die Schulter). Aber ich gewöhne mich von Tag zu Tag daran und es wird besser. Gestern hörten wir bis 22.30 Uhr noch Leute in der Nähe vorbeiwandern und um 04.30 Uhr erneut. Wir stehen um 05.00 Uhr auf und sind um 05.30 Uhr bereits unterwegs. Im ersten Aufstieg der Etappe 18 zum Nüenchamm kommen wir einer Herde Yaks (?) mit Jungen in die Quere. Diese grunzen uns bedrohlich an. Wir werden unsicher, versuchen auszuweichen, aber sie sind überall. Mist. Wir gehen mühsame Umwege aus Angst, vor einem (wenn es Yaks sind) Yak-Angriff. Danach wird der Weg wieder sehr zugewachsen. Hm, keine grosse Freude herrscht, sondern die Angst vor Zecken. Der Weg bis auf den Grat geht aber gut, wir machen keine Pause, es gibt einfach keinen guten Platz um anzuhalten. Dabei haben wir nicht mal gefrühstückt. Wir sind auf dem Leitstock, als wir bemerken, dass das Wetter früher umschlagen wird als erwartet. Ich gebe uns maximal noch 30 Minuten Zeit. Wir beeilen uns extrem. Aber da der Grat exponiert und heikel ist, kann man nicht viel schneller gehen. 10 Minuten vor dem Gipfel, beginnt es stark zu regnen. Wir sind mitten in einer Grashalde. Nässe ist hier fehl am Platz. Ein Sturz wäre fatal. Doch wir pushen durch und bleiben konzentriert. Es geht besser als erwartet und wir kommen nass auf den Gipfel beim Nüenchamm an. Sofort gehen wir weiter. Der Abstieg ist nun rot/weiss und nicht mehr blau/weiss. Zum Glück. Dafür blitzt und donnert es nun ziemlich nah. Wir verschwenden keine einzige Minute, nicht mal um die Regenjacke anzuziehen, nass sind wir eh schon. Es spielt alles keine Rolle mehr. Der Weg ist anspruchsvoll, weil die Wurzeln und Steine durch den starken Regen besonders rutschig geworden sind. Nach etwa 1.5 Stunden erreichen wir die Bahnstation Habergschwänd, die Sessel stehen still. Wir triefen vor Nässe (Pool in den Schuhen), kein einziger Fleck an unseren Körpern ist noch trocken und wir frieren sehr. Doch wird sind nun in Sicherheit, der Stress hat sich gelohnt.
Wir gehen ins Bergresti Habergschwänd, es hat keine Leute vor Ort, ausser das Personal. Dort erfahren wir, dass der Sessellift auf Verlangen in Betrieb sei. Ich habe ohnehin keinen Bock mehr. Es wären nun noch eine Stunde bis Filzbach und zwei weitere, von Filzbach bis Ziegelbrücke. Bei diesem Wetter eine Qual. Für mich beginnt die innere Challenge und ich führe ein paar Selbstgespräche mit mir selber – eine Verhandlung, was ich nun machen werde. In etwa so: Es ist genug für heute, das macht keinen Sinn mehr – nimm die Bahn. Du bist 31 und weiser geworden.. Durchpushen kannst du, wem willst du das noch beweisen, du weisst es selbst. Aber kannst du auch abbrechen und nicht nach Vorgabe bzw. deinem Plan die Wanderung zu Ende bringen? Einfach auf den Sessel steigen und sagen: Für mich reichts heute. Schaffe ich das wirklich? Yes I can. Domenica auch. Wir nehmen die Bahn, danach den Bus, dann den Zug bis Sargans und gehen Mittagessen. Wir sind sooo nass, ziehen uns mitten am Bahnhof, um endlich nicht mehr zu frieren oder gar krank zu werden.
Wir haben es geschafft. 18 Etappen der Via Glaralpina sind wir gewandert. Drei Stunden vor dem Ende der gesamten Route haben wir einfach aufgehört. Unser neuer Running Gag: Die letzte Via Glaralpina Etappe von Habergschwänd bis Ziegelbrücke (weil eher langweilig und einfach) machen wir, wenn wir pensioniert sind. Was wäre das Leben ohne Ziele.
Ciao Via Glaralpina, du bist ultra cool!
von mir
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Daniel
26. August 2024 at 17:46Liebe Christina, vielen Dank für diesen spannenden Bericht. Ich «leide» immer «mit», wenn ich deine Posts lese: die Hitze, die Schmerzen, die Anstrengung … ich kenne sie. So war es auch schon mit deinem Buch, das ich 2022 geschenkt erhalten hatte. Seither schaue ich deine Blogs an und bin ein bisschen Fan geworden. Das Buch hat mich auch bewegt, eine entsprechende Ausrüstung zu kaufen (Danke für die Equipment-Liste!!). Tatsächlich habe ich dann 2022 genau einmal im neuen Zelt in den Tessiner Bergen übernachtet (das wäre eine Geschichte für sich). 2023 hatte ich keine Möglichkeit. Aktuell plane ich einige Etappen der «alten» Via alpina rot in der Schweiz, wie sie bis 2023 war (seit 2024 gibt es nur noch einen Weg, der nördlicher durch die Schweiz verläuft), aber es müsste dann Mitte September gutes Wetter geben, sonst wird es wohl auch dieses Jahr bei der Planung bleiben … Die Wege des Abschnitts der «alten» Via alpina rot im Maggiatal sind übrigens wegen des Unwetters Ende Juni bis auf weiteres überall gesperrt. Die Via Glaralpina wäre wohl etwas zu heikel für mich; mit starker Exposition komme ich leider nicht gut zurecht. Ich bin gespannt, zu lesen, was deine nächsten Erlebnisse sein werden. LG, Daniel