HIKING SCHWEIZ

Via Glaralpina Woche 3 – Abbruch, nächster Versuch 2024

Es ist Montagmorgen. Die Bergspitzen sind alle weiss, das Wetter grandios. Domenica und ich haben uns entschieden, der Via Glaralpina eine letzte Chance zu geben. Gestern hatten wir aufgrund des Schnees alle coolen Abschnitte umgehen müssen und sind im Tal nach Weissenberge gewandert. Wir sind optimistisch und voller Vorfreude. Beide denken wir, dass es heute klappen wird mit dem Gulder- und dem Gipsgrat. Unsere Tagesetappe dauert 8 Stunden, der Grossteil ist heute auf blau / weiss Abschnitten – den eben genannten Gratwegen, mit einigen Kraxxelpassagen. Beim Frühstück im Berggasthaus Edelwyss ist auch Julia dabei. Julia kam gestern Abend spät an. Ich kenne sie schon seit ca. 2 Jahren und sie ist zufällig 2 Wochen vor uns auf die Via Glaralpina gestartet. Auch sie konnte die Route nicht in einem Zug durchwandern. Aufgrund einer Knieüberlastung und aufgrund des Wetters. Deshalb holt sie nun noch ein paar Etappen nach. Im Edelwyss sind wir alleine beim Frühstück, das Gasthaus ist eigentlich geschlossen. Aber wir haben ein Zimmer bekommen und das Frühstück wurde für uns vorbereitet. Ein Luxus – eigentlich reicht uns auch ein Müsliriegel zum Start. Bei einem gutem Frühstück ist die Challenge, nicht zu viel zu essen – vor dem Aufstieg.

Auch heute stehen nämlich direkt zum Start einige Höhenmeter auf dem Programm. Wir starten zu dritt und ich lasse mich nach der ersten Pause etwas zurückfallen. Es wird Zeit endlich mal wieder Freunden und der Familie zu antworten. Ich höre mir die Sprachnachrichten alle nochmals durch und antworte, bis der Weg zu steil ist und ich meinen Freunden keine nervige Schnauf-Sprachnachrichten hinterlassen möchte. Nach knapp zwei Stunden erblicke ich eine Lawinenverbauung am Sunnenhöreli. Es ist noch recht schattig, aber dort hat es Sonne. Also klettere ich direkt hoch, preise das wunderbar bequeme Bänkli an und schon sitzen Julia und Domenica neben mir. Lawinenverbauungen sind wirklich sehr sehr praktische und coole Bänkli. Für meinen beiden Mitwanderfreundinnen ist es das erste Mal. Danach wandern wir weiter bis unterhalb des Gulderstocks. Ich spure vor und sinke, umso höher wir steigen, tiefer in den Schnee ein. Ich stehe auf dem Chämmligrat auf 2246 Metern und schaue mir die nächsten Routenabschnitte an. Bis hierhin wanderten wir etwa auf einem T3, trotzdem war der Weg bereits sehr mühsam und rutschig. Für mich ist sofort klar, dass eine Gratkraxxelei wie ich sie von hier aus erblicke, mit unserer Ausrüstung und unserem Können nicht vernünftig ist.

Man muss wissen, wann es Zeit für die Umkehr ist..

Als Domenica und Julia zu mir aufschliessen, sind sie gleicher Meinung. Einen schneeweissen T4 Grat will niemand von uns wandern. Wir entscheiden uns für die Rückkehr. Am Morgen hatte ich noch an einen erfolgreichen Wandertag geglaubt. Umso länger wir jedoch im Schnee liefen, desto unrealistischer wurde das Vorhaben. Anscheinend habe es plattige Abschnitte und ein paar heikle Stellen. Mehrfach habe ich schon gehört, dass Leute mich als sehr risikoreich einschätzen. Meiner Meinung nach gehe ich kalkuliertes Risiko ein und weiss ziemlich gut, wann die Grenze für mein Können erreicht ist. Denn für jede Person, ist diese Linie an einem anderen Punkt. Mit einem Seil und Steigeisen würde die Situation hier auch schon wieder anders aussehen. Doch das haben wir nicht dabei und wäre wohl auch too much für uns. Es ist trotzdem extrem schwierig für mich, Projekte aufzugeben bzw. abzubrechen. Domenica geht es ähnlich. Sie sagt sehr treffend: «Es ist manchmal einfacher Dinge durchzuziehen, als diese abbrechen zu müssen.» Mir geht es da ähnlich. Und doch denke ich in diesem Abstieg viel übers Abbrechen nach. Klar ist es für solche Projekte wichtig durchbeissen zu können, einen starken Willen zu haben, sich auf das Ziel zu fokussieren und auch mal einstecken zu können. Aber noch wichtiger ist es zu wissen, wann genug ist. Schlussendlich bin ich aus Spass hier. Ich geniesse die Landschaft, liebe den (eben kalkulierten und auf meine Fähigkeiten angepassten) Nervenkitzel. Aber hier weiterzugehen wäre unvernünftig, auch wenn es vielleicht klappt und nichts passieren würde, ist es die eventuelle Konsequenz nicht wert. Denn die Konsequenz (also wahrscheinlich ein Absturz am Grat), wäre ein viel zu hoher Preis dafür. Das Risiko ist durch den Schnee einfach zu gross. Ich denke darüber nach, dass wir stolz sein können, diese Eigenschaft zu besitzen: Umkehren zu können.

Wir wandern etwas bergab, entdecken einen kleinen Bergsee und entscheiden uns dort zu pausieren. Zeit haben wir nun mehr als genug. Julia wird die Umgehung machen zur Mülibachtal Hütte und von dort morgen weiterlaufen. Domenica und ich sind uns noch nicht sicher, ob wir direkt nach Hause gehen. Doch weil der Hüttenwart der Mülibachtalhütte am Telefon aussergewöhnlich freundlich klang, entschliessen wir uns, dort einen letzten Via Glaralpina Abend zu verbringen. Denn für beide ist klar, dass wir danach nicht mehr weiterwandern. Stand jetzt haben wir die Etappe 13 & 14 über den Vorab wegen ca. 50cm Schnee ausgelassen. Die Etappe 15 mussten wir umgehen und sind im Tal gewandert, die heutige Etappe 16 haben wir auch nicht nach Route wandern können. Das sind für uns zu viele Umgehungen. Wir wollen die Via Glaralpina wandern, auf abenteuerlichen T4 Wegen. Und keine chillige Glarner Höhenwege, weil wir alle fordernden Abschnitte umgehen müssen. Heisst, wir machen die letzten Etappen 13 bis 19 im Sommer 2024. Sobald dieser Plan konkret ist, schauen Domenica und ich nicht mehr zurück, sondern überlegen wie es nun weitergeht. Morgen werden wir heimreisen, dann einen Tag Pause haben voneinander (2 Wochen nonstop Zusammensein ist für mich eine schon eine starke Leistung – und Hut ab an Domenica, dass sie mich aushält) und am Donnerstag zum Abschluss Wellnessen. Am Freitag habe ich bereits wieder Arbeitstermine. Übrigens: Ich habe noch immer keine einzige Blase. Liegt wohl daran, dass es kaum Taletappen, keine Hitzetage und (praktisch) keine Asphaltabschnitte ab.

Nach der Bergseepause, bei welcher alle drei von uns für 30 Minuten eingeschlafen sind, wandern wir querfeldein bergab. Ich verfluche die Entscheidung schon bald. Es ist zwar nicht extrem steil, aber es hat viele Blaubeeren Sträucher, die den Abstieg erschweren. «Scheiss Heidelbeeri Abstieg», fluche ich leise vor mich hin. Domenica und ich haben nun absolut kein Bock mehr aufs Wandern. Wir ticken sehr ähnlich, es ist verblüffend. Im Moment als klar war, dass wir abbrechen, verliess uns noch in der gleichen Sekunde jeder Funke Wander-Motivation. Auf keinen einzigen Schritt habe ich mehr Lust. Der Abstieg nervt und ich sage zu Domenica, ich würde Wandern hassen. Wir müssen beide lachen. Doch ich reisse mich zusammen, sage mir selbst, dass ich ab jetzt nicht mehr jammere und einfach weitermarschiere. So geht es dann doch recht gut und wir kommen unten auf einer Alp an. Was noch folgt ist ein letzter Anstieg auf einer sehr steilen Fahrstrasse zur Hütte. Es fahren ein paar Jeeps und Traktoren hin und her und da Domenica und ich nun eh aufgegeben haben, müssen wir unsere eigenen Regeln (kein Bähnli, kein Auto, kein Velo, kein Bus, kein Transportmittel egal welcher Art auf der Route) auch nicht mehr einhalten. «Hoffentlich nimmt uns jemand mit zur Hütte!» – wünschen wir uns beide. Wir versuchen unser Glück, sprechen zwei Vorbeifahrende an, doch der Eine fährt in die falsche Richtung, der Andere muss seinen Kiestransport abbrechen, wegen einem Defekt am Transporter. Mist, davor fuhr dieses Auto sicher 5 Mal zur Hütte hoch und runter.

Kein Hüttenbüsi, dafür Brunnen und Älplerspaghetti

Es folgt ein bizli hässiger «Trotzaufstieg» – so nennt es Domenica. Wir wandern im Eiltempo und wollen es einfach nur hinter uns bringen. Julia nimmt es gelassener und dokumentiert die Landschaft mit Fotos & Videos. Domenica und ich manifestieren die Hütte und unseren letzten Abend. «Ich wünsche mir einen Brunnen, wieder ein Hüttenbüsi, einen sehr lieben Hüttenwart, angenehme und saubere Zimmer und Älplermacaroni zum Znacht» – so in etwa meine Zusammenfassung. Als wir ankommen (300hm in unter 25 min = 700hm in 1h – proud of us!) und den Brunnen sehen, sind wir schlagartig glücklich und jedes Aggro-Gefühl verlässt den Körper. Werner, der Hüttenwart, begrüsst uns. Er führt die Hütte als Hobby neben seinem Job als Zimmermann. Sein Vater hatte sie vor vielen Jahren gekauft. Er sagt wir dürfen im Brunnen baden und sofort ziehen Domenica und ich unsere nassgeschwitzte Kleidung aus. In Unterwäsche wagen wir uns in den doch recht kalten Brunnen und geniessen es. Als Julia dazukommt macht sie ein Foto und tut es uns gleich nach. Eine herrliche Abkühlung. Danach sünnelen wir und Werner tischt noch Chips und Nüssli auf. Geht es noch besser?! Wir erzählen ihm, von unseren Manifestationswünschen – «hender es Hüttabüsi?» – und er muss lachen – Nein ist die Antwort. Er fragt, was wir noch so manifestiert haben und wir erwähnen unseren Znachtwunsch. Er lacht noch mehr und sagt, dass lässt sich vielleicht einrichten 🙂 Der letzte Wunsch war: «Wir hoffen, dass du Morgen im Tal einkaufen musst und deshalb mit dem Auto runter fährst», erklärt Domenica. Denn wir wollen mitfahren. Die 2 Stunden bis nach Engi möchten wir uns ersparen. Er müsse zwar ins Tal, aber er sei mit dem Töff hier. «Kann jemand von euch Töff fahren?», fragt Werner. Roller würde knapp noch gehen, aber Töff – nein, das ist bei dieser brutal steilen Strasse lebensmüder (für uns), als wenn wir den Schneegrat gewandert wären. Werner wäre froh, wenn sein Töff im Tal wäre. Denn dann könnte er ins Tal fliegen, erklärt er. Ach cool, ein Gleitschirmpilot! Die neue Idee, die wir gemeinsam spinnen, ist dann folgende: Ich fliege mit seinem Schirm ins Tal und Domenica fährt mit Werner auf dem Töff nach Engi. Wäre die sicherere Variante. Aber natürlich ist auch das nur ein Witz – ich habe mein Brevet noch nicht und bin erst bei 20 Gleitschirmflügen. Wir werden laufen müssen. Egal, denn etwas später tischt uns Werner neben feiner Suppe noch Älplerspaghetti auf. Spaghetti?! Ja. Weil Julia keine Gluten essen kann und die Spaghetti ohne Gluten sind. Ein wunderbarer Znacht, alle sind wir zufrieden und löffeln noch die letzten Reste des Schoggimousses aus dem Geschirr. Der Mond zeigt sich an diesem Abend von seiner besonders schönen Seite, bevor wir alle um 21.00 Uhr schlafen gehen. Ich lese noch ein paar Seiten wie jeden Abend und Domenica hört einen Podcast.

Heimreise & Ernüchterung

Nach dem Frühstück verabschieden wir uns. Julia bricht auf ihre zweitletzte Etappe auf. Dann hat sie die Via Glaralpina light, wie sie sagt, geschafft. Einmal ums ganze Glarnerland. Auch sie möchte nächstes Jahr noch ein paar alpine Etappen nachholen. Jedoch hat sie bereits mehr Etappen abschliessen können als wir. Domenica und ich sind mit dem Startdatum vom 11. September einfach nicht früh genug gestartet. Wir ärgern uns etwas über unsere nicht durchdachte Planung. Man hätte sich ja denken können, dass es für die alpinen Routen im Herbst heikel werden könnte. Julia wandert berghoch, wir bergab. Nach ca. 45 Minuten kommt uns ein Auto talwärts entgegen und nimmt uns mit ins Tal. Wir freuen uns, dass wir diese langweilige Strecke nicht mehr gehen müssen. Im Auto denke ich zurück an zwei wunderschöne und spannende Wochen. Die Via Glaralpina ist meine neue Lieblingsweitwanderroute. Es ist schade, dass wir heimreisen und es sich so sehr nach «unfinished business» anfühlt. Sonst geht man beschwingt heim, ist stolz, froh, erleichtert. Dieses Mal sind wir ein bisschen traurig, dass es irgendwie abrupt endete und auch ein bisschen frustriert. Aber das Schöne ist, dass wir wissen was für eine tolle letzte Wanderwoche der Via Glaralpina im Sommer 2024 auf uns warten wird. Ausserdem haben wir in diesen zwei Wochen noch ordentlich Pläne geschmiedet. Und falls diese Pläne aufgehen, so erwartet Domenica und mich in Zukunft ein noch viel grösseres Wanderabenteuer. Mehr verrate ich an dieser Stelle jedoch noch nicht. 😉

Das Beste, wenn man wieder Zuhause ist <3 Yuki

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1 Comment

  • Reply
    Christoph Dalcher
    28. September 2023 at 17:36

    Trotz des Abbruchs ist auch dieser Post so spannend zu lesen. Immer fiebere ich mit Dir und Euch mit, auch wenn das Lesen zeitversetzt stattfindet. Inspirierend und lebendig geschrieben wie immer. Danke, dass man teilhaben darf! Ihr habt alles richtig gemacht, bravo!
    Grüess us Möriken AG

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