VIA ALPINA

Woche 4 – heiss, steil & Giftschlangen

Nach der lauten Partynacht in der Capanna D‘Efra sind wir möglichst früh losgelaufen, denn es war wieder ein sehr heisser Tag! Der Abstieg zog sich und irgendwie dachten Christian & ich wir wären früher in Biasca. Manchmal kommt man wirklich kaum vom Fleck, wenn die Wanderwege in einem schlechten Zustand sind. Heisst, sie sind sich selbst überlassen und werden nicht gemäht. Frage mich dann, ob die Wege einfach vernachlässigt werden (bei Ulrichen und im Calancatal war es ziemlich mies) oder ob ich einfach zu früh am Wandern bin und das später alles noch gemacht wird. Jedenfalls sind Christian und ich kurz vor Biasca einen gekennzeichneten Wanderweg gelaufen, wo es uns nicht mal überrascht hätte, wenn wir noch eine Leiche gefunden hätten. Diverse Knochen hatten wir bereits entdeckt und es wurde immer unheimlicher. Zum Schluss landeten wir bei einer Baustelle, wo man eigentlich eine Brücke hätte passieren sollen (eine grosse für Fahrzeuge) und die war einfach weg, bzw. abgebrochen. So mussten wir unten durch und weil es so extrem heiss war, badeten wir kurz im Fluss. Es war bis zu diesem Zeitpunkt der heisseste Tag und wir hatten nach der Abkühlung noch knapp 5km Asphaltstrasse vor uns bis zum Zentrum von Biasca. Dort gabs eine mässig gute Pizza und Christian nahm den Zug nach Hause.

Nur 5 Minuten später stand Lara vor mir – ein fliegender Wechsel also. Lara und ich kennen uns 10 Jahre, seit der Lehre bei der Somedia. Sie hatte sogar extra für die kommenden Tage ein Zelt gekauft! Wir sind dann auch erstmal auf Asphaltstrassen gelaufen und mussten dann über einen Bach, der etwas streng roch. Weil ich an diesem Tag schon so viel gelaufen bin, wurde es für mich immer härter. Denn meine Füsse bekamen bei dieser Hitze Blasen – total waren es sechs. Aber in Dorfnähe zelten geht eher weniger, deshalb mussten wird einfach weiter. Immer wenn es bei mir nicht so gut läuft (das kennt ihr jetzt mittlerweile), wünsche ich mir ein Best-Case Szenario herbei. Manchmal übertreibe ich es auch bewusst. Ich wünschte mir also, dass wir nach einem 15 Minuten Anstieg zu einem super flachen Zeltplatz kommen und es im aller besten Fall einen Pool hat. Das mit dem Pool war eher ein Witz, aber es gab uns Gesprächsstoff und wilde Fantasien über unsere zukünftigen tollen Häusern mit Pool. Jedenfalls liefen wir weiter und mussten wieder den Fluss überqueren. Und da kamen wir ohne jegliche Vorahnung an einen Platz, der uns sprachlos machte. Es war ein riesiges Flussbecken mit Wasserfall und daneben entdeckten wir noch zwei perfekte Zeltplätze. Wir feierten unseren Erfolg, ich war überrascht, wie gut es mit dem wünschen klappt! Wir badeten, obwohl es schon sehr spät war und Lara hatte Spaghetti zum Aufwärmen mitgebracht. Das einzige Negative: Im Wald übernachten in unmittelbarer Stadt/Dorf Nähe macht mir Angst. Aber alles gut, die Nacht war super ruhig.

Dann, am Tag danach, begann ein langer Aufstieg! Wir unterteilten diesen in drei Teilabschnitte mit kurzen Pausen. Es war erneut verdammt heiss! Kurz vor der Mittagspause auf 1300 Metern über Meer dann der Schock! Lara schrie und dann raschelte es! Eine schwarze Aspisviper schlängelte im Eiltempo davon. Dann sahen wir noch eine! Diese zweite Schlange „kletterte“ den Baum hoch. Das Adrenalin pumpte durch unsere Venen und wir wussten gar nicht richtig, wie und wo wir weiterlaufen sollten. Wir entschieden, die Pause etwas später zu machen, um etwas Abstand vom Ort des Geschehens zu erwandern. Beim Mittagessen im frisch gemähten Grass googelten wir die Schlange. Es war eine der zwei Giftschlangen in der Schweiz. Nur für Kinder und ältere Menschen tödlich. Dann aber realisierten wir, dass wir beide nur ca. 160cm gross sind und somit vielleicht auch zu den Kindern zählten?! Jedenfalls wünschte ich mir ganz fest, nie mehr eine Schlange auf der Via Alpina zu sehen. Ich glaube Schlangen sind für mich das Schlimmste, was es gibt. Ich habe schreckliche Angst vor ihnen und es hilft leider auch wenig, mir einzureden, dass sie immer flüchten und ein Biss höchst unwahrscheinlich war.

Nach der Schlangenpanik meisterten wir nochmals 700hm (total waren es 1800hm) und kamen zur Capanna Brogoldone. Wir liefen nicht den Original Via Alpina Weg, sondern einen Umweg, aber ohne steile, felsige Pässe. Ich war noch etwas gebrandmarkt von den Schwierigkeiten der Woche 3. Die Hüttenwarte der Capanna Brogoldone waren extrem nett! Wir durften in der Nähe der Hütte zelten, duschen (sogar warm) und assen dort auch Znacht & Zmorga. Es war herrlich! Sogar ein Hund und ein kleines Büsi zählten zur Hüttencrew.

Die Nacht im Zelt auf 2000 Meter über Meer war kalt, denn es windete schon wieder so stark. Aber ich sorgte mich vor allem um Lara! Sie hatte zwar für jeden Tag ein frisches T-Shirt dabei, aber auf die Schlafmatte verzichtete sie platzeshalber. Als sie mir das erzählte, konnte ich es ja kaum glauben. Aber sie war tapfer und nahm die Kälte erst in den frühen Morgenstunden war.

Der dritte Tag der Woche 4 war erneut wunderschön & heiss. Der Höhenweg brachte uns um den Berg herum (eben ohne Pass) ins Calancatal. Der zweite Teil der Abstieges war wieder sehr toll. Also nein, leider eben nicht. Denn wieder waren es Wanderwege, die anscheinend niemand läuft und auch nicht gepflegt werden. Alternativen gab es keine, ausser der Fahrstrasse. Als wir die erste Schlange sahen – und das auf Bündner Boden – fing das Theater wieder an. Man muss sich vorstellen, durch hohes Grass laufen zu müssen, wo man vorher auf dem exakt gleichem Untergrund etwas davon schlängeln sah. Ich war wütend auf den Calancatal Tourismusverband. Wieso werden diese Wanderwege so dermassen schlecht gepflegt?! Weil die ihre Wege vernachlässigen, muss ich mich jetzt mit panischer Angst durch den Weg kämpfen. Aber ich war auch wütend auf die Schlangen. Ich hoffte die ganze Zeit, dass sie die Kantonsgrenze respektierten und schön im Tessin blieben – aber nein, leider nicht. Wir liefen also weiter und natürlich wurde auch noch die vierte Schlange gesichtet. Wütend, verzweifelt und irgendwie auch zum Heulen zu Mute ging es wohl oder übel ins Tal nach Buseno und weiter nach Arvigo. Dort gab es eine herrliche Abkühlung im Fluss und ein eher weniger tolles Mittagessen. War noch nie in einem Restaurant, wo man sich so wenig Mühe gegeben hatte. Nach einem leckeren Kuchen in einem anderen Café (es gab zwar nicht viel dort, aber zwei Lokale) nahm Lara den Bus nach Hause.

Ich lief weiter nach Selma, dann Rossa (irgendwo dazwischen „musste“ ich wieder baden – Hitze!) und bis nach Valbella. Gegen 21.00 Uhr kam ich an und fand nur einen Zeltplatz bei einem alten, verlassenen Chalet. Etwas frech, aber ich entschied mich dort niederzulassen. Dementsprechend schlief ich auch nicht so gut, weil ich doch Angst hatte, dass noch jemand vorbei kommt und mich verjagt. Aber entdecken konnte man mich eigentlich nicht – nur wenn man wirklich ums Haus rumlief.

Am Mittwoch ging es ins Valle Mesolcina. Von Valbella (ich bin schon vorgewandert) ging’s den Berg hoch, wo ich zur Alp Trescolmen kam. Von der Alp machte ich einen Mini-Umweg zu einem paradiesischen Bergsee auf 2000 Metern über Meer. Ich blieb über eine Stunde dort und ging drei Mal baden. Das war ein absolutes Highlight, so einen schönen Ort für mich alleine zu haben. Nach dem letzten Passanstieg ging es runter nach Pian San Giacomo. Ich hoffte auf ein Restaurant, denn ich hatte nicht mehr viel Essen. Aber es gab rein gar nichts. So suchte ich einen Ort zum Schlafen und wurde beim Wasserpumpwerk oberhalb des Dorfes fündig. Man konnte mich nicht sehen und ich hatte einen flachen Platz. Es war nur etwas laut aufgrund der Maschinen.

Der nächste Wandertag startete um 06.00 Uhr. Ich bemerkte, dass mein Handy nicht aufgeladen war (nur 30%) und meine Powerbank, welche am Abend noch 75% der Batterie anzeigte (total immer 4 x Handy laden), leer war. Das Problem: Mein Ladekabel war beschädigt und es lud zwar teilweise aber dann auch wieder nicht und so brauchte es trotzdem die Batterie des Powerbanks auf. Mist! Ich laufe mit dem Handy als Navi, aber hätte eigentlich noch das GPS. Ich lief um 07.00 Uhr los und kam ordentlich ins Schwitzen. Es war ein feuchter, nebliger Tag. Die nur 1000hm Anstieg hatten es in sich! Ich war nicht mehr im Tessin, aber steil war es immer noch. So anstrengend! Von der Alp ging es dann immer weiter in die Höhe und ich passierte die Schweizer Grenze und kam nach Italien. Ab dort war der Weg entweder nicht mehr markiert oder es hatte drei Wege nebeneinander (also parallel verlaufend) und alle waren markiert. Verstehe nicht ganz, was der Sinn dahinter ist. Jedenfalls kam ich zügig voran, denn ich trödelte nicht mehr rum, weil ich ein Hotelzimmer gebucht hatte. Dieses wollte ich so lange wie möglich geniessen und jede Minute auskosten. So rannte ich die letzten Höhenmeter ins Tal, nur um dann vor dem geschlossenen Hotel warten zu dürfen. Ich wollte nämlich was essen vor dem Check-In. Aber auch als das Hotel offen war, gab es leider nichts zu Essen über Mittag. Es gab aber anscheinend ein anderes Restaurant (das Cardinello) und so ging ich dort hin. Schade, dass ich das nicht schon früher wusste, aber ohne Handy ist man echt aufgeschmissen. Leider war der Koch schon weg, aber Martino bereitete einen Salat und Käse für mich zu. Ich war glücklich – Essen und ein erfrischendes Getränk! Martino ist ein typischer Italiener und sprach mich nur mit „Bella signorina“ an. Er fragte mich woher ich kam und wohin ich gehe. Dann sagte er: „Aha, die Via Alpina also.. – und wie weit gehst du?“ Er wusste sehr viel darüber und meinte, dass Isola genau in der Hälfte der Strecke liegt (falls man nicht wie ich in der Schweiz starten musste). Er erzählte mir auch, dass schon andere vorbei gekommen sind und einer aus Frankreich, der von Kopf bis Fuss mit Sponsoren überdeckt war. Nach dem Essen gab ich meine Kleidung ab zum Waschen und versuchte, mein Ladekabel irgendwie zu flicken. Der Erfolg hielt sich in Grenzen. Es lädt nun, wenn man die exakt richtige Position erwischt. Nach dem Znacht schrieb ich noch am Blogpost und zeichnete die nächsten Routen ein.

Am morgen lud das Ladekabel leider gar nicht mehr. Deshalb plante ich zum Tagesziel Innerferrera zu laufen und von dort den Bus nach Thusis zu nehmen, um ein Neues kaufen. Es ging ab Isola in Italien auf der bekannten Via Spluga zum Stausee und vom Stausee via Rifugio Bertacchi zum Niemet Pass, wo ich wieder in die Schweiz lief. Im Rifugio trank ich was, weil ich 3h ohne Pause in sehr schnellem Tempo gelaufen bin. In Italien haben alle Menschen eine Maske an. Für mich war der Anblick erst etwas komisch, aber finde die konsequente Massnahme gut und hatte meine natürlich auch an. In der Hütte fragte ich, wie lange es noch bis nach Innererrera dauert. Der Hüttenwart sagte 2.5 Stunden, kam dann aber nochmals zurück und korrigierte seine Aussage auf 4h! Ohje, wenn das wirklich so wäre, dann würde ich den Bus nach Thusis nicht erwischen. Also lief ich so schnell wie ich konnte und war doch in 2.5h im Avers. Musste dann sogar 40 Minuten auf den Bus warten. Dafür gab es im Alpenrose Hotel & Restaurant ein Glace. Das Wetter war den ganzen Tag eher schlecht und bedeckt, doch die letzte Stunde auf dem Weg ins Tal wurde es sonnig. Da holte ich mir dummerweise den ersten Sonnenbrand, da ich mich so aufs schnelle Laufen konzetrierte und vergass mich einzucremen. Total doof, mein Genick ist nun feuerrot und es ist nicht sehr angenehm einen Rucksack zu tragen. Jedenfalls ist Thusis ja in der Nähe von Zuhause – Flims. Deshalb schrieb ich meinem Bruder Gian, ob er Lust hätte mit mir in Thusis Znacht zu essen. Ganz spontan klappte es und ich freute mich riesig. Ein Ladekabel fürs Handy fand ich auch. Es gab jedoch nur ein 3 Meter langes, was alles andere als leicht war. Mein Plan war es, mit dem letzten Bus nach Innerferrera zurück zu fahren, dann noch etwas zu laufen und mir einen guten Schlafplatz zu suchen. Schon bevor Gian da war, kam ich auch auf die Idee, doch einfach zu Hause zu schlafen. Es braute sich ein Gewitter zusammen und ich suchte mir eine gute Ausrede, um die Idee für mich selber vertreten zu können. Den irgendwie fühlte es sich wie „betrügen“ an. Ich redete mir dann ein, dass ich dann das doofe neue und sehr schwere Ladekabel austauschen konnte, mein Stinktshirt mal mit dem Vanish Hygiene Waschpulver waschen würde und ich es ja auch verdiente hätte, als Belohnung eine Nacht zu Hause zu schlafen, wenn ich schon 12 Tage ohne Pause durchlief. Beim Abendessen mit Gian leerte mir der Kellner den ganzen Eistee auf meinen Fleece und da war für mich klar, jetzt gehe ich mit Gian nach Flims. Irgendwie war das für mich fast ein Zeichen. Ich kam um 20.00 Uhr an und wusch meine Kleidung und sorgte mich mit Apres Soleil um meinen Sonnenbrand.

Am nächsten Morgen um 08.00 Uhr war ich bereits wieder auf dem Rückweg nach Innerferrera. Ich freute mich aufs Wandern, denn es sollte ein gemütlicher Tag werden. Ich lief der alten Aversstrasse entlang bis ins höchstgelegene Dorf (ganzjährig bewohnt) Europas – Juf. Obwohl ich motiviert war, kam ich nach der Eiltempo-Wanderung vom Vortag nur mühsam in die Gänge. Zudem plagten mich Bauchkrämpfe und als ich ein Hörbuch hörte, um den Tag besser zu machen, war die Geschichte dermassen (überraschenderweise) traurig, dass ich selbst in melancholische Stimmung verfiel. Solche Tage gibts natürlich manchmal, aber beim Laufen ist es etwas mühsamer, da man sich abends nicht auf sein warmes Bett freuen kann. In Juf angekommen trank ich ein Apfelshorle und wartete auf Nadine, die mich zwei Tage begleiten wollte. Ich freute mich auf den Besuch und die Ablenkung vom grundlos „doofen“ Tag. Schlussendlich hatte ich einen schönen Abend und wir assen kurzentschlossen im Restaurant in Juf und fanden danach einen grandiosen Zeltplatz am Fluss.

Die nächsten vier Tage bin ich im Engadin/Bergell und in Italien, bevor ich in Poschiavo ankommen werde. Poschiavo ist der letzte Ort in der Schweiz und war bereits einmal ein Ziel von mir, als ich sieben Tage auf dem Bernina Trek unterwegs war. Bis jetzt müssten es etwa 600 Wanderkilometer sein und ich bin stolz, demnächst die Schweiz durchwandert zu haben.

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