Eine von insgesamt 3 Wochen auf der Via Glaralpina sind schon vorbei. Die erste Woche startete wie gewöhnlich etwas harzig – kein Wunder also, dass Domenica und ich uns manchmal selbst ein bisschen verfluchten. Der Rucksack war so schwer, die Wege viel zu steil, die Temperaturen zu heiss. Warum genau, wollten wir in unseren 3 Wochen Herbstferien wandern? Zwischenzeitlich vergisst man seine Gründe – doch das Gute, es ist meistens nur die ersten Tage so.
Der erste Tag startet in Ziegelbrücke, wo wir uns am Bahnhof treffen. Wir wandern durch Ziegelbrücke und Niederurnen und starten unser Wiedersehen mit einem ausgiebigen Austausch und zwar mit einer Standortanalyse unserer Leiden – einer Identifizierung der möglichen Achillesferse auf dieser Tour. Das geht in etwa so: „Also mein Hals kratzt heute nicht mehr, hinken muss ich auch nicht mehr – doch kein Ermüdungsbruch, meine Schultern schmerzen beide seit Monaten, aber das Hauptproblem wird meine Hüfte / Becken oder mein Fussknöchel sein – bei dir so?“ Nachdem das geklärt ist, steigen wir in Richtung Hirzli-Gipfel auf. Es ist heiss und auch steil – wir sind nicht „amused“. Doch Domenica und ich kommen gut in den Flow und schwelgen in Erinnerungen vom letzten Sommer, die wir nun todlustig finden, damals aber gar nicht. Und zwar lachen wir uns über eine Situation futsch, weil ich am ersten Tag auf der Weitwanderung im 2022 (Via Alpina 4 Wochen Ergänzung) einen mini Kreislaufkollaps hatte und mich mitten auf eine ultra steile Forststrasse legen musste, um nicht ohnmächtig zu werden. Wir finden es so witzig, dass wir auch noch kreative Wortspiele erfinden: Kolabrieren – eine fancy Mischung aus kollabieren und kalibrieren. Also eine dramatische Anpassung auf die neue strenge Wander-Routine. Wer das liest denkt jetzt wohl, oh man – aber hey, beim Wandern erzählt man viel Quatsch und stellt die besten und sinnlosesten Fragen (heute: was würdest du arbeiten wollen wenn Geld und Studium kein Thema wären – Lösung wir wären beide Kriminal-Sonderermittlerinnen haha).
Zurück zum Montag: Es war so streng das wir auch schon am ersten Tag nochmals nachrechneten wie lange es noch geht – Domenica sehr positiv gestimmt: „noch drei Dienstage, aber nur noch zwei Montage imfall!“. Auch unsere Garmin Uhren motivieren uns sehr: Die Aktiv-Kalorien schiessen in die Höhe und wir fühlen uns nach 3h wandern fit, stark und allg. wie Topmodels. Nur dass die Body Battery um 10.30 Uhr schon auf 25 von 100 gesunken ist, verursacht einen kleinen Höhenflug-Knick. Jedenfalls erreichen wir durchgeschwitzt den Hirzli mit Blick auf den Zürisee und geben einer Familie etwas Wasser ab – sie haben keines mehr. Wir wandern weiter zum Planggenstock (cooler als Hirzli) und steigen danach ab in Richtung Mätmen. Dort erreichen wir die Selbstversorgerhütte. Wir sind nicht allein, es ist schon jemand dort. Wir lernen Rebekka kennen – etwa im Alter unserer Eltern und kommen ein bisschen ins Gespräch. Auch sie wandert auf der Via Glaralpina, für ungefähr eine Woche. Neben der Hütte hat es einen kleinen Bach. Da wir unfassbar viel geschwitzt hatten und überhitzt sind, gibt es eine Dschungel-Mogli Bach-Dusche. Herrlich! Den Abend lassen wir mit feiner Polenta vor der Hütte bei Sonnenuntergang ausklingen.
Tag 2 startet früh. Bereits um 07.00 Uhr wandern wir los. Der Aufstieg ist heute besonders steil und wir sind etwas aufgeregt. Denn es erwartet uns die technische Königsetappe der Via Glaralpina – der Brüggler. Es gäbe eine easy Umgehung, doch das Wetter ist top und wir entscheiden uns dafür. Es ist die erste T4 Stelle der Via Glaralpina und ich bin angespannt, denn trotzdem dass wir schon mehrmals darüber gesprochen hatten, fühle ich mich ein bisschen verantwortlich für uns beide. Denn ich bin die ohne Höhenangst. Domenica hat diese in den letzten Jahren abbauen können – aber was uns schlussendlich erwarten würde, wissen wir beide nicht. Wir steigen auf, schon beim Einstieg beginnt eine leichte Kraxxelei. Diese wird bald anspruchsvoller, denn es geht nicht nur hoch, sondern teilweise bergab. Und wie es bergab geht. Man ist auf dem Grat und an einer Stelle ist der Weg ziemlich exponiert. Ich schlucke kurz leer, als ich die Passage vor Domenica‘s Ankunft entdecke. Doch wir sind ein gutes Team und Domenica bestätigt, dass sie sich gut fühlt, obwohl die nächste Stelle einschüchterend aussieht und ein falscher Tritt wohl ein Sturz über die mehrere Hundertmeter lange Felswand bedeuten würde. Ich gehe wieder voraus und sobald ich einen guten Stand finde, coache ich so gut ich kann Domenica zu mir. Technisch ist es gar nicht wirklich schwierig, aber mental schon, wenn man quasi einen Klettersteig klettert ohne Klettersteigset (mit grossem, schweren und oft störenden Rucksack). Aber das schlimme Stück ist kurz und schon erreichen wir den Gipfel. Gott sei Dank ist der Abstieg dann recht harmlos und wir gönnen uns bei der Alplädali Winteregg beim einen Eistee und Chipsli. Die Wanderung führt weiter zum Obersee, wo wir eine ausgiebige Pause machen, Pizza Resten essen und unsere Motoren im Bergsee abkühlen. Es tut soooo gut. Doch das Wetter schlägt schnell um und in den zwei letzten Stunden des Tages, kommt sogar noch ein Hagelgewitter über uns hinweg gefegt. Glücklicherweise eher harmlos, sodass wir den Aufstieg mit Regenpellerine fortsetzen können und bei den Rautihütten ankommen. Rebekka ist bereits dort und hat schon gegessen. Wir kochen unsere Fertig-Abendessen-Menüs (Nudelsuppe Comeback bei mir), ich wasche mich beim Brunnen im strömenden Regen und um 19.00 Uhr sind wir im Bett. Ich lese noch in „Hard Land“ bis eine lange, mühsame und unbequeme Nacht anbrach. Aber hey, immerhin im Trockenen – ich bin dankbar für dieses Selbstversorgerhüttli.
Leider haben alle drei diese Nacht nicht gut geschlafen. Und für heute ist das Wetter schlecht angesagt, sodass wir den T4 Abschnitt über den Wiggis nicht wandern wollen und den Berg auf der anderen Seite auf einem einfachen Bergwanderweg via Langeneggpass umgehen. Die Motivation ist dementsprechend tief. Die Wanderung ist nur schon aufgrund des Wetters eher langweilig, doch der heftige Regen kommt erst, als wir kurz vor Richisau sind – am hinteren Ende des Klöntalersees. Obwohl wir die Biwaksachen dabei hätten, nimmt uns das gruselige Regenwetter die Entscheidung ab, und wir buchen ein Zimmer im Berggasthaus. Da wir zu früh dort waren, schlagen wir die Zeit zu dritt in der Gaststube tot. Rebekka offeriert uns eine Schoggi Melange, da wir ihr in den vergangenen Tagen jeweils unsere Power Bank ausgeliehen hatten. Währenddessen haben wir Zeit etwas mehr zu quatschen. Es ist immer sehr spannend mit Menschen zu reden, die in ihrem Leben bereits viel schöne und auch weniger schöne Lebenserfahrung gesammelt haben. Als unsere Zimmer endlich ready sind, duschen wir und gönnen uns anschliessend einen Power Nap. Um 18.30 Uhr geht es zusammen mit Rebekka zum Abendessen. Mittlerweile sind wir (zumindest abends, am Tag wanderten wir getrennt) das Frauentrio.
Tag 4 startet damit, das wir loslaufen und Domenica die Abwesenheit ihres Handy nach 10 Minuten bemerkt. Ich geniesse den Ausblick auf den Klöntalersee während sie wieder zurück wandert und ich warte. Ich nutze die Zeit um meiner Grossmutter eine Postkarte meiner Aussicht zu schicken – denn vor einen paar Jahren machten wir auf ihren Wunsch einen Ausflug an den Klöntalersee. Ich freue mich schon jetzt, nach der Wanderung mit meiner Grossmutter über alle neuen Glarner Orte die ich auf der Via Glaralpina kennenlernte zu reden. Nachdem Domenica zurück gekehrt ist, steigen wir bis zur Chäseren Alp auf, hoffen auf eine Holundershorle, doch da gibt es nicht zu holen – alles zu. Also geht die heutige kurze Tour weiter, direkt bis zur Glärnischhütte. Der Helikopter fliegt fleissig von der Alp auf die Hütte und wir wollten schon frech fragen ob wir den Rucksack mitgeben könnten. Doch schlussendlcih trauten wir uns natürlich nicht. Glücklicherweise erreichen wir die Hütte bzw. das Glärnisch Basecamp schneller als erwartet. Die Hütte ist im Umbau, deshalb auch die Helifüge, und wir bekommen ein Zelt zugewiesen. Nachdem wir uns im Bach den Schweiss weggeduscht haben, klinke ich mich aus allen Tischgesprächen aus und versinke in mein Buch. Ich liebe es! Man sieht nichts ausser Nebel und ich bin in meinen Schlafsack gekuschelt, unterhalten von einem guten Buch.
Nach der Nacht im Zelt essen wir um 06.00 Uhr Frühstück und starten um 06.30 Uhr die Tour. Zu Beginn steigen wir wieder auf dem Hüttenweg ab, was uns aufregt. Unnötig verlorene Höhenmeter. Dann geht es wieder hoch in Richtung Zeinenfurggel – einem Passübergang der ein T4 ist. Wir sind nun in der Nähe des Glärnisch Gletschers und „Vrenelis Gärtli“ (eine Hochtour die auf meiner Wunschliste noch offen ist) – das heisst, es folgt ein Abschnitt genau nach meinem Geschmack. Karge, graue und schroffe Landschaften. Nur Fels und manchmal etwas Eis. Und es ist steil! Das letzte Stück der Zeinenfurggel fordert uns und oben angekommen, sieht es erst nicht wirklich abstiegsmöglich aus. Im ersten Moment erkennt man nämlich keinen Weg. Doch es geht Schritt für Schritt bergab über die ungewöhnlichen Felsformationen bis auf das Hochplateau. Beim Konzentrierten bergabwärts wandern kippt bei einem Tritt ein Stein weg, sodass ich umknicke und meinen Problem-Fuss sofort spüre. Mit wird heiss – kalt – heiss und kurz sehe ich die nächsten Tage der Via Glaralpina vorbeiziehen. Shit, wars das jetzt. Doch beim Aufsetzen merke ich, der Umknicker war nicht ganz so schlimm – weiterwandern geht. Um das beste aus der Situation zu machen, schmieden Domenica und ich schon einen Alternativ-Plan, falls es das mit dem Wandern nun gewesen wäre. Unsere Idee: Ein Roadtrip ins Südtirol zum Wellness und entspannen und das wichtigste: Um uns durchs gesamte Südtiroler Knödel-Angebot zu essen. Doch daraus wird nichts, denn der Fuss bleibt einigermassen stabil und schwillt nur wenig an. So steigen wir ab über den Schwiiboden, wo wir nicht auf Schweine sondern Schafe und Lamas treffen. Jö so herzig… denken wir uns am Anfang. Doch es ist nicht so herzig, wenn man die Herde durchqueren muss, Schafböcke auf mich zurennen und Lamas kauend (oder Spucke sammelnd) immer näher kommen! Wir umgehen die Tiere so gut es geht, doch sie sind sehr neugierig. Deshalb verlieren wir massiv viel Zeit bis wir die Alp Bächi Mittelstaffel mit grossem Hunger erreichen. Leider gibt‘s im Kanton Glarus etwas wenig Vegi-Möglichkeiten, so bestellen wir halt „nur“ eine Tomatensuppe und etwas Käse zur Stärkung. Nun folgt der letzte Aufstieg des Tages bis zur Bergstation Gumen, oberhalb von Braunwald. Nachdem der letzte Aufstieg geschafft ist, kommen wir in eine Hoch-Stimmung und sind viel schneller als erwartet in Gumen. Rebekka ist auch schon da und wir winken ihr noch ein letztes Mal. Mit der Bahn geht es ins Tal nach Braunwald. Denn wir reisen für einen Tag nach Flims. Die Reise nach Hause ist lange und etwas mühsam. Zuerst von Gumen nach Braunwald, dann 15 Minuten gehen zur Braunwald Station, um mit der Bahn nach Linthal zu kommen. Von dort mit dem Bahnersatzbus nach Schwanden, von Schwanden mit dem Zug nach Ziegelbrücke und von dort nach Sargans, um in den Zug nach Chur umzusteigen. Wir sind beide extrem müde und kaum im Zug nach Chur ruft Domenica: „Scheisse nein, ich habe meine Wanderschuhe verloren!“. Verloren heisst in diesem Fall, im anderen Zug, der schon weg ist, einfach stehen gelassen. Hm, das ist eine denkbar doofe Situation, denn diese Wanderschuhe werden noch zwei Wochen gebraucht! In Chur holt uns meine Mama ab und es geht nicht direkt nach Flims, sondern in den Bächli Bergsport, wo Domenica sich durchs Wanderschuhsortiment durchprobiert. Nach ca. einer Stunde hat sie sich für einen La Sportiva Schuh entschieden. Den gleichen wie ich habe. Ein wirklich sehr gutes Modell! Normalerweise wandere ich ja in Trailrunnern, aber für die T4 Passagen kam für mich nur ein richtiger Wanderschuh in Frage. Diese Entscheidung kann ich nach einer Woche mittlerweile auch als sehr wichtig und sinnvoll bewerten. Mit neuen Wanderschuhen geht es nach Flims. Mama verabschiedet sich und wir entleeren sofort unsere Rucksäcke, um alles zu waschen. Dann wird geduscht, die Wäsche aufgehängt und weil eh nichts im Kühlschrank ist, gehen wir in eine Flimser Pizzeria zum Abendessen. Es gibt Steinpilz Pasta für Domenica und für mich Gnocchi Gorgonzola. Zurück zuhause bei mir gehen wir direkt ins Bett. Ein anstrengender Tag ist endlich geschafft.
Am Pausentag passiert nicht viel. Wir gehen im Kaufmannsfrauen frühstücken, kaufen essen für zwei Wochen (ab jetzt leider keine Resupply Möglichkeit mehr), packen das Zelt doch noch dazu ein (waren bisher nur mit Biwaksachen unterwegs), nehmen den Kocher heraus (essen lieber Riegel zum Znacht als Kochsachen mitschleppen), lackieren uns Fuss- und Fingernägel und starten unsere monatelang aufgesparte Serie Selling Sunset Staffel 3 oder so. Am Abend geht es nach Laax. Wir haben einen reservierten Tisch bei der SRF bi de Lüt Liveproduktion, da mein Bruder Andri ein Teil des Programms ist. Es ist ein super lustiger Abend mit ein paar Gläsern Wein und um 23.30 Uhr sind wir endlich im Bett. Denn um 04.30 Uhr klingelt der Wecker, um die Reise nach Braunwald wieder anzutreten.
Auf der Reise nach Braunwald kann ich nicht schlafen. Das wird mir am Tag noch zum Verhängnis, doch wieder bei Gumen angekommen starten wir noch fit und gut gelaunt die letzte Etappe dieser Woche in Richtung Glattalphütte. Der Rucksack mit Essen für zwei Wochen ist schwer, aber wir kommen schon bald auf einer Hochebene an. Das gesamte Gebiet der nächsten 2-3 Etappen ist Karstgebiet. Heisst viele flache Felsen mit Spalten. I like – wieder eher rau und grau. Wir pausieren etwas öfter als normal und kommen nicht so gut vorwärts, doch die Tour für heute dauert auch nur ca. 7 Stunden. Wir treffen auf zwei Frauen und merken sofort, dass etwas nicht stimmt. Die eine Frau ist gestürzt und kann nicht mehr auf den Fuss stehen. Der Heli sei unterwegs. Unsere Hilfe wird nicht benötigt, wir gehen daher weiter. 20 Minuten später beobachten wir währen dem Passaufstieg den Heli bei der Bergung der Frau mit der Long-Line. Was für ein riesiges Privileg in einem Land zu wohnen, wo man in kürzester Zeit zuverlässig gerettet wird. Der Aufstieg zum Pass läuft bestens, oben angekommen sehen wir den Glattalpsee. Die Abstiegshöhenmeter sind etwas rutschig, die Steine sehr lose. Unten am See angekommen geht Domenica direkt baden. Ich bin so fertig und kann mich nicht mehr entscheiden was ich mache. So bleibe ich auf einem Stein eine Weile sitzen, überwinde mich endlich zu baden, lege mich danach ins Gras und falle sofort in einen 30-Minütigen Tiefschlaf. Als ich erwache – einer meiner besten Naps ever merke ich, dass meine Linke Körperhälfte kurzzeitig gelähmt ist, vom harten Boden, der mir und meiner kaputten Schulter für einmal nichts ausmachte. Die Energie ist zurück in meinem Körper und es geht noch bis zur Hütte. Domenica und ich manifestieren den Abend: Ein Zimmer für uns alleine, eine wunderschöne Hütte, nette Hüttencrew, Kuchen, Salat beim Abendessen, einen Nudelauflauf mit Gemüse und Käse, ein Ladekabel für unsere Garmin-Uhr, einen Brunnen zum waschen. Alles wurde wahr, ausser das es zum Hauptgang Spaghetti gab. Doch beim Abendessen rumpelt es auf einmal laut. Eine Person einer Männergruppe ist in Ohnmacht gefallen und sorgt für Aufregung. Zum Glück geht es ihm schon bald besser und der Abend verläuft ruhig. Für morgen ist extrem viel Regen gemeldet, mal schauen wie wir den Tag meistern werden.
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