VIA ALPINA

Woche 9 – Krise kurz vor Slowenien

„Wir gehen schon mal weiter, falls der Abschied traurig wird“, meinte Jenny. „Ach nein, kein Ding. Denke dass schaff ich ohne weinen“, gab ich taff – fast schon über die Aussage lachend – zurück. Nur zwei Minuten später stand ich schluchzend und tränenüberströmt an der Wanderwegkreuzung. Der Abschied war viel schwieriger, als ich gedacht hatte. Nach 9 Tagen in den Dolomiten und auf dem karnischen Höhenweg mit Christian, war ich am letzten Tag doch tatsächlich ein Häufchen Elend. Als ich ihn noch einmal umarmte, dachte ich ernsthaft das aller erste Mal daran abzubrechen und mit ihm gemeinsam die Bus- und Zugreise zurück nach Hause zu machen. Aber nein, nach dem letzten Tschüss riss ich mich zusammen und lief los. Heulend. Wir winkten uns noch und nur eine Minute später sah ich ihn nicht mehr. Ich hätte zu Beginn der Via Alpina nicht gedacht, dass mich ein Besuch so aus der Bahn wirft. Dabei hatte ich ja schon am Abend vor seiner Abreise ständig ein Kloss im Hals. Aber was konnte ich machen, es war ja meine eigene Entscheidung und entweder lief ich jetzt weiter oder eben nicht. Also wanderte ich traurig bis zum Plöckenpass und dann hatte es auch noch begonnen zu regnen. Das passte irgendwie. Auch die Umgebung war wenig spannend oder schön. Nach dem Plöckenpass hatte ich auf einmal wieder Empfang. Seit 2-3 Tagen hatte ich schon kein Netz mehr und checkte endlich die Wettervorhersage. Ich setzte mich trotz Regen auf den Boden und überlegte was ich jetzt machen soll. Ich war total unglücklich und ich hatte null Bock aufs Wandern. Dann überlegte ich mir, dass ich schon seit etwa drei Wochen keinen ganzen Tag mehr pausiert hatte. Ich redete mir ein, dass es bestimmt helfen würde, sich wieder langsam daran zu gewöhnen alleine zu sein und sich vor Slowenien einen Pausentag zu gönnen. Ich checkte verfügbare Hotelzimmer an allen Ortschaften von den kommenden Etappen. Leider war viel ausgebucht – aber meine Laune war ja eh schon im Keller. Da ich nach dem gemeinsamen Abstieg von 2-3 Stunden mit der Gruppe nun noch eine Etappe von über 7 Stunden vor mit hatte, musste ich weiter. Der Wetterbericht sagte zudem Regen mit Gewitter gegen 15.00 Uhr voraus. Dann passierte mir auch noch ein blöder Fehler: Ich sah zwar den Wegweiser „Zollnerseehütte“, aber meine Navigation mit der App Komoot bestand auf eine andere Route, bei welcher der Anstieg erst später folgte. Da ich demotiviert war, war mir das recht und zudem hoffte ich, es gehe mir später etwas besser, damit der Aufstieg problemlos klappt. Leider entpuppte sich der Weg als Sackgasse. Denn es existierte zwar mal ein Wanderweg – zumindest konnte ich extrem verbleichte Wanderwegkennzeichnungen erkennen – aber dieser war in einem miserablem Zustand. Wahrscheinlich war es ein alter Wanderweg, der nun nicht mehr gepflegt wurde. Frustriert über die Tatsache, dass ich besser dem Wegweiser gefolgt wäre, kämpfte ich mich fast senkrecht den Wald hoch. Es hatte viele umgefallene Bäume und da der „Wanderweg“ sich ständig irgendwo verlor, war es eine „Querfeldauf-Aktion“. Irgendwann hielt ich an und setzte mich auf den Rucksack. Ich überlegte was ich machen sollte. Aber ausser eine weitere Runde heulen kam mir nichts schlaues in den Sinn. Also ging es weiter bis ich nach 400 Höhenmetern endlich den richtigen Weg erreichte. Es regnete wieder und ich musste zum Schluss durch so viel hohes Grass, das natürlich alles nass war. Aber der Anblick eines Wegweisers machte mich kurz glücklich. Es folgten viele weitere Höhenmeter und irgendwann kam ich auf dem Pass an. Da lief ich doch prompt erneut falsch. Die Wanderwegkennzeichnung ist in Österreich zwar gut, aber nicht vergleichbar mit der Schweiz. Jedenfalls lagen die Wegweiser am Boden und so ist es immer schwer zu verstehen, in welche Richtung es geht, vor allem wenn das Kartenapp was anderes behauptet. Genau in diesem Moment kamen zwei junge Männer und sagten mir, dass ich besser dem Wegweiser folge, da der andere Weg nicht gemacht sei (nicht gemäht). Bis dahin hatte ich keinen Menschen gesehen. Zum Glück, meine roten Augen sollte lieber niemand zu Gesicht bekommen. Aber ich war froh über die Info zum Wanderweg und folgte also der Original Route des karnischen Höhenweges. Doch nur kurze Zeit später fing es richtig heftig an zu gewittern. Ich lief so schnell ich konnte, denn ich war extrem exponiert und hatte deshalb Angst. Der Regen wurde so heftig und das Donnergrollen ist das wohl ungemütlichste Geräusch beim Wandern. Dann sah ich eine Hütte! Sie war zwar abgeschlossen, aber ich konnte mich ein kleines bisschen unter dem Dach verstecken. Denn nach dem Donnern folgten nun auch einige Blitze. Wie ich es hasse. Ich wartete und es wurde weniger und dann wieder heftiger, sodass ich völlig aufgelöst war und nicht wusste was ich machen soll. Sollte ich mein Zelt aufbauen? Abwarten und später weiterlaufen? Ich wartete über eine Stunde – bis 17.00 Uhr. Das Zelt hatte ich halb aufgebaut, als das Wetter wieder etwas besser wurde und ich mich umentschied. Ich verfluchte diesen Tag! Liebeskummer und Heimweh, falsche Routen, Gewitter und Zeitdruck. Eine schlimmere Kombination kann ich mir fürs Wandern kaum ausdenken. Da hätte ich lieber ein paar Blasen an den Füssen gehabt. Ich lief unsicher weiter und hoffte es ziehe kein neues Gewitter auf. Der Weg war schnell gemeistert und nach einer Alp folgte ein letzter Aufstieg zur Zollnerseehütte. Es regnete und donnerte schliesslich auch noch um 19.00 Uhr und so fragte ich in der Hütte mit zittriger und unsicherer Stimme nach einem Schlafplatz. In meinem Kopf ständig den Satz – „Ich muss niemandem was beweisen“ – aufsagend. Die Hütte war nicht voll und ich bekam einen Platz. Ich konnte sogar duschen und bekam ein Abendessen, obwohl ich so spät angekommen war. Drei andere Gäste sprachen mich an und fragten, wo ich mit dem grossen Rucksack hingehe. Zuerst antwortete ich sehr zögerlich und musste mich noch immer zusammenreissen nicht einfach erneut loszuheulen, aber irgendwann fing ich mich endlich und die Abwechslung war ganz hilfreich. Nach so vielen doofen Erlebnissen an einem Tag, war ich doch froh nicht alleine im Zelt bei Regen und Donner zu liegen. Im Massenlagerbett lauschte ich dem Regen und überlegte mir, dass man eine solche lange und anspruchsvolle Wanderung besser macht, wenn man single ist. Und ich dachte immer, ich könne gut damit umgehen. Naja, jetzt hatte ich den Salat und musste mich vor allem emotional wieder aufpeppeln. Lautlos liefen mir noch ein paar Tränen übers Gesicht, bevor ich diesen schlimmsten Tag seit ich auf der Via Alpina bin endlich abschliessen konnte.

Der Montag startete etwas besser. Erst dachte ich sogar, ich hätte es etwas übertrieben – so schlimm war es doch gar nicht. Aber als ich dann alleine beim Zähne putzen war, fühlte ich mich schon wieder ziemlich einsam. Doch auf mich wartete ein reich gedeckter Frühstückstisch und der Wirt der Zollnerseehütte war extrem nett zu mir. Er sprach mich immer mit meinem Namen an und auch wenn das eine kleine Sache ist, war es irgendwie ganz schön. Er meinte aber, dass vielleicht bald die Grenze zu Slowenien geschlossen wird. Das wäre natürlich sehr schlecht und beschäftigte mich noch lange. Auch sagte ich an diesem Morgen zum ersten Mal, dass ich eigentlich vor hatte nach Trieste auch noch nach Monaco zu laufen, aber Stand jetzt war ich mir dabei nicht mehr so sicher, ob ich das wirklich wollte. Kaum gesagt war ich selbst geschockt von meiner Aussage. Aber bis dahin geht es ja auch noch eine Weile, erst mal ab nach Trieste! Die anderen in der Hütte starteten bereits vor 07.00 Uhr. Ich ungefähr eine halbe Stunde später, aber ich holte sie schon bald wieder ein. Es scheint so, als wäre ich recht fit geworden – und schnell, trotz dem schweren Rucksack. Bei einer Alm machte ich kurz Halt, um ein Almdudler zu trinken und danach hatte ich endlich wieder Netz! Da es mir gestern so mies ging und ich mich ja gegen Mittag meldete aber am Abend nicht mehr, hatte ich schon etwas besorgte Nachrichten erhalten. Mit Kontakt nach Hause während einer Krise geht es nämlich viel besser, weil man getröstet werden kann. Der Weg ging wieder nach Italien und so waren die Markierungen zwar spärlicher, aber die Landschaft umso schöner! Die Strecke bis zum Rudnigsattel gefiel mir extrem. Danach ging es in der Mittagssonne vorbei an den ersten Bahnanlagen in Richtung Nassfeld. An einem Speichersee planschten bereits viele Leute und auch ich konnte nicht wiederstehen. Nach einer Abkühlung fühlte sich mein Kopf wieder etwas freier an und ich schätzte wieder, wo ich war und was für ein Privileg es ist, eine solche Wanderung machen zu können. Ich relaxte noch etwas auf einer Liege und lief dann nach Nassfeld. Dort kaufte ich ein und lief den Berg wieder hoch in Richtung Egger Alm. Irgendwo auf der Grenze zwischen Italien und Österreich fand ich einen Schlafplatz im Wald. Es war schwierig nicht den Kühen in die Quere zu kommen. Und im Wald zelten mache ich auch nicht gerne, da ich das unheimlich finde. Immer knackst es irgendwo und ich habe dann Angst, dass von irgendwoher Kühe kommen und mein Zelt plattrennen oder aus dem Nichts ein Kettensägenmörder auftaucht. 

Die Nacht hatte ich überlebt, obwohl mich tatsächlich um 22.00 Uhr ein heftiges mehrmaliges Knacken aufschrecken liess. Damit es so knackte (die Äste am Boden), musste es ein Mensch oder ein grösseres Tier sein. Ich nahm all meinen Mut zusammen und öffnete mein Zelt um etwas zu erkennen. Da brach Panik aus und ich hörte nur etwas wegrennen, was sich aber definitiv wie ein Tier anhörte. Mit Tieren komme ich klar. Wenn ich einen Mensch entdeckt hätte, hätte ich bestimmt grössere Angst gehabt.

Schon vor 07.00 Uhr startete ich die Wanderung zur Egger Alm. Nach 2 Stunden kam ich an und wurde etwas hektisch und unfreundlich begrüsst. Danach stellte sich heraus, dass die Wirtin vergessen hatte ihr Bügeleisen auszustecken und verzweifelt herum telefonierte, damit jemand in ihre Wohnung ging, um es auszustecken und ihre Katzen zu retten. Sie war aufgelöst und weinte nach einem Telefonat. Danach kam sie zu mir und entschuldigte sich vielmals, dass sie so unfreundlich zu mir war, aber sie hätte einen ganz miesen Tag. Ich sagte ihr, dass es kein Problem sei und dass ich kürzlich auch einen sehr schlechten Tag hatte. Ich bekam zwei „Confibrote“ und ein Apfelsaft und verliess die Egger Alm gegen 10.00 Uhr. Es war noch heisser als gestern und mein Sonnenbrand schmerzte. Ich hatte mich am Vortag zu spät eingecremt, da ich wütend auf die Welt war und dachte, ach was soll‘s- ich werde bestimmt nicht mehr rot nach so vielen Tagen an der Sonne. Aber diese Überlegung war falsch und ich büsste dafür. Der Weg war extrem zäh und langweilig. An einer Kreuzung machte ich eine Pause im Schatten, um meine Füsse im Bach zu kühlen. Ich hatte nämlich neue Wanderprobleme. Meine Füsse sind anscheinend grösser geworden oder angeschwollen. Jedenfalls wird der Platz im Wanderschuh immer knapper. Ausserdem hatte ich gestern zum ersten Mal Schienbeinweh. Auch ein bekanntes Wanderwehwehchen. Nach einer Stunde wollte ich eigentlich aufbrechen, aber da kamen gerade zwei Wanderer in meine Richtung. Davor hatte ich kaum Menschen beim Wandern gesehen. Sie hatten grosse Rucksäcke und wir begannen uns gegenseitig auszufragen. Vor mir standen Bettina aus Stuttgart und Markus aus Köln – oder umgekehrt. Dass weiss ich nicht mehr so genau. Die beiden waren um die 50 und laufen von Salzburg nach Trieste und haben bereits die Hälfte der gesamthaft 4-wöchigen Wanderung geschafft. Lustig fand ich, dass ich dachte die beiden gehören zusammen. Dabei stellte sich raus, dass beide Solo unterwegs waren (Markus‘ Instagram mit coolen Updates @solototrieste), sich jedoch auf dem Trail kennengelernt haben und nun gemeinsam weitergehen. Wir liefen bis zur Dolinza Alm „gemeinsam“. Dort war für die beiden an diesem Tag Endstation und ich ass noch was bevor ich weiter musste. Ich verabschiedete mich von Bettina & Markus und fast gleichzeitig kamen Lise & Frederic an. Ich kannte sie schon. Die beiden Franzosen sind im Hochweisssteinhaus (Woche 8) spät und nass aufgetaucht und hatten in unserem Zimmer geschlafen. Sie waren vor sechs Wochen in Frankreich gestartet und wollten nach Wien. Der Grund: Von Wien wollten sie nach Georgien, da dort ihr Auto war. Die beiden sind nämlich einmal in fünf Monaten von Frankreich nach Japan gefahren und bei der zweiten Reise von Japan nach Georgien. Jetzt wollten sie ein Stück in die Richtung des Auto‘s wandern und nahmen aber auch immer mal wieder den Zug oder den Bus. Mit den erneuten Corona-Einschränkungen wurde ihr Plan erschwert. Nach einer gemeinsamen Wanderstunde bis zur Feistritzer Alm verabschiete ich mich und liess die beiden ziehen, bevor ich nach einem Schiwasser (Sirup), auch aufbrach um einen Zeltplatz zu finden. Ich lief nochmals 1.5 Stunden und fand einen Platz, der fast zu gut war um wahr zu sein. Deshalb hatte ich wieder Angst, dass irgendwann noch Kühe auftauchten. Oder Bären! Denn ich war gemäss einem Warnschild schon im Bärengebiet angelangt. 

Die Nacht verlief ohne weitere Erlebnisse und ich lief vor 07.00 Uhr los, um früh in Thörl-Maglern anzukommen. Es war verdammt heiss und trotzdem, dass ich früh gestartet bin, machte mir die Hitze zu schaffen. Ich hatte einen Aufstieg von nur 700hm vor mir, der sich jedoch ins Unendliche zog. Kaum oben angekommen, wollte der Abstieg nicht enden. Nach 5 Stunden kam ich im Tal an und musste feststellen, dass der Bus erst in 2 Stunden fuhr. Aber ich fand ein Restaurant, wo ich einen Holundersirup bestellte. Ich fühlte mich nicht so wohl, da die Männer vom Stammtisch mich alle komisch anstarrten, aber nicht mit mir redeten. Dann kam der 78-Jährige Antonio an den Nebentisch und lud mich auf den Sirup ein. Er war aus Italien und plauderte mit mir über sein Leben und wo er bereits auf der Welt gearbeitet hatte. In Zürich und Genf als Maurer und in Venezuela als Plattenleger. Auch in Nigeria hatte er schon einen Job. Es war spannend, auch wenn ich nur die Hälfte verstand und es durchaus möglich ist, dass ich auch ein paar Infos vertauscht habe. Er fuhr zurück nach Udine und ich nahm den Bus nach Villach. Genau in diesem Moment tauchten die Franzosen wieder auf und kamen mit. Auch sie (obwohl sie extrem sparsam unterwegs waren) hatten für die Nacht ein Hotel gebucht. Es sollte ein richtiges Unwetter kommen. Ich fuhr nach Villach und ging im Städtchen noch Verpflegung kaufen und genoss einen Chai Latte und frische Erdbeeren in einem Café. Am Abend blitze und donnerte es ungefähr 4 Stunden lang. Und zwar jede Minute. So was hatte ich selten erlebt. 

Der nächste Tag war mein wohlverdienter Pausentag und ich tat nicht viel. Fusspflege, Gesichtsmaske, Wäsche waschen, Blog updaten und so weiter. Am Abend erst verliess ich mein Zimmer für einen Drink in der Stadt und dann machte ich mich auf die Suche nach einer guten Pizza. Zurück im Hotel nahm ich nochmals ein Bad und ging mal wieder viel zu spät schlafen.

Am Freitag nahm ich den Bus zurück nach Thörl-Maglern und führte meine Wanderung fort. Aber ich fühlte mich schlecht. Mir war übel und schon um 6.45 Uhr zeigte es im Bus 22 Grad an. Ich lief zu einer Bank bei der Kirche und machte Pause, bevor ich überhaupt los bin. Irgendwie war ich nervös vor Slowenien. Ich bin dann weiter und musste einen Aufstieg meistern. Zuerst kam ich schleppend voran, aber irgendwann kam ich wieder in den Wander-Flow. Da es so heiss war, ging ich nicht zur Dreiländerecke hoch, sondern kürzte die Route und lief nach Racete. Die ersten Slowenen die ich traf, fragte ich wie man grüsst. Es war etwas wie „dobre dan“. In Racete sah ich ein Restaurant und trank etwas. Ich war stolz bis Slowenien gelaufen zu sein, aber ich fühlte mich hier noch nicht so ganz wohl. Lag wohl hauptsächlich daran, dass erstens überall Zeltverbot ist und zweitens die Sprache so komplett anders ist, das man kein Wort versteht, was auch bei einer Routenplanung schwierig ist. Es war unerträglich heiss, aber der Weg ging etwas durch den Wald, worüber ich sehr dankbar war. Dann kam ich zu den Skischanzen und zu meiner Überraschung war dort ein riesen Getümmel mitten im Hochsommer! Es gab ein Zentrum mit vielen Aktivitäten wie Ziplinen etc. und aber auch eine Indoor Langlaufbahn (mit Schnee). Ich trank wieder einen Eistee, weil es so heiss war, dass ich kaum weitergehen konnte und es selten Schatten hatte. Danach lief ich noch bis Tamarju und entschied mich doch zu Zelten. Aber mit einem unguten Gefühl. Bei einem Wasserfall machte ich Pause. Ich überlegte was ich machen soll und war so unschlüssig. Ungewöhnlich. Denn ich bin ein Mensch der immer einen Plan hat. Meine Optionen waren hier Zelten oder noch über den Berg laufen (was anspruchsvoll aussah und in den Kommentaren der Via Alpina Seite wurde vor dem schlechten Weg gewarnt). Da es um 18.00 Uhr wieder gewittern sollte, entschied ich mich Feierabend zu machen. Die Zeltplatzsuche war schwierig. Der Talkessel war klein und überall hatte es Murgang-Material. Deshalb lief ich ein gutes Stück zurück bis ich einen Platz fand. Es war noch immer verdammt heiss (sorry für die vielen Erwähnungen der Hitze), aber es donnerte schon und tröpfelte leicht. Ich stellte das Zelt auf und die Viecher wollten schon alle rein. Deshalb musste ich alles zu machen und verhitzte fast im Zelt. Schlussendlich schlief ich mehrmals ein und hatte auch keine Lust etwas zum Znacht zu kochen oder zu Lesen. Es war ein extrem lustloser Abend. Ich musste mir überlegen, ob ich weiterhin mit dem Zelt wandern will. Denn in Trenta wollte ich zum Camping, aber danach gab es keine weiteren Campings mehr auf meiner eigentlichen Route. Eine Option wäre das Zelt nach Hause zu schicken und mit leichten Gepäck in den slowenischen Hütten zu schlafen. Aber wie man hört ist viel ausgebucht. Irgendwie hatte ich in letzter Zeit einfach zu wenig Kraft für solche Themen. Und so schob ich diese Entscheidung auf einen anderen Tag. In der Nacht hörte ich immer wieder das „togg, togg“ von Steinschlag. Gut war ich nochmals ein Stück zurückgelaufen. 

Bereits um 05.30 Uhr hörte ich Leute mein Zelt (hoffentlich nicht sichtbar) passieren. Ich lief um 06.15 Uhr los und es war schon verdammt warm. Weil meine Schultern wieder mehr schmerzten, habe ich aktuell den Rucksack um die Hüfte extrem eng gespannt. Nach einer Stunde musste ich dringend eine Pause machen, weil mir schlecht war. Da endlich schnallte ich, dass es wohl etwas meinen Bauch zerdrückt und mir darum schlecht wurde. Der Aufstieg war leichter als erwartet und langsam kam ich endlich – im emotionalen Sinne – in Slowenien an. Die Landschaft war traumhaft schön und ich war überrascht von den vielen aktiven Slowenen, die sich zudem gut ausgerüstet hatten. Oben angekommen ging ich noch auf den Gipfel. Eigentlich dachte ich zu Beginn noch, es werden öfters spontane Gipfel drinliegen. Meistens war ich aber einfach zu erschöpft. An diesem Tag machte ich ein paar extra Höhenmeter. Danach folgte der Abstieg zum Vrsic Pass. Es kamen mir massenhaft Leute entgegen – aber es war ja auch Samstag. Gegen 09.00 Uhr erreichte ich den Pass, wo wirklich jede erdenkliche Ecke zuparkiert war. Es war verdammt heiss und ein Souvernir Shop öffnete seine Türen. Ich ergriff die Möglichkeit zwei Eistees zu kaufen und entschied mich spontan für ein lecker aussehendes Kokosglace. Der ältere Shop-Besitzer stellte danach weiterhin all seine Souvernirs auf und knuffte mich einmal im vorbeigehen in die Wange. So wie es Grosseltern manchmal bei kleinen Kindern machen. Ein bisschen komisch war das, aber ich dachte – ach ist anscheinend die slowenische Art. Später – und wieder ganz nebenbei im Vorbeilaufen – knuffte er mir auch in die Hüfte bzw. in den Bauch. Verwirrt, ob das jetzt hier normal ist, packte ich meine Sachen und ging weiter. Ich traf noch einen Österreicher, der ein Foto von mir machte und dann lief ich im Wald (was für ein Glück) runter zur Quelle der Soca. Die Soca ist ein bekannter Fluss in Slowenien und in der Schweiz wohl mit der Verzasca zu vergleichen. Ich habe schon einige Bilder gesehen und auch viel davon gehört. So freute ich mich sehr und hoffte auf eine Abkühlung. Der Fluss war aber am Anfang eher noch ein kleines Bächli. Die Hitze wurde immer unerträglicher und ich konnte es kaum mehr aushalten, einen guten Spot zum Baden zu finden. Dann entdeckte ich ihn! Einen richtigen kleinen Pool und schon hatte ich mein Bikini an und kühlte mich im hellblau glitzerenden Wasser ab. Es war herrlich und ich fühlte mich zum ersten mal seit einer Woche wieder so richtig glücklich! Ich liebe tolle Seen und Flüsse und mein Via Alpina Ziel war es, in möglichst vielen davon zu baden. Später kamen zwei Deutsche und ich machte Bilder von ihnen und sie von mir. Davor hatte ich es mit meinem Tripod (Mini-Stativ) versucht. Erst drei Stunden später lief ich weiter bis zum Camping Trenta. Dort fragte ich direkt nach Wifi, denn ich musste meine Route neu planen. Ich genoss es legal Zelten zu dürfen und badete erneut in der (bin jetzt schon verliebt) Soca. Jedoch war schon um 15.30 Uhr die Sonne aus dem Tal hinter den steilen Felsen verschwunden. Auch gut, jetzt konnte ich ohne Ablenkung bloggen und planen. Unglaublich, dass nun schon die Woche 10 beginnt!


Diesen Blogpost zu posten brauchte viel Überwindung. Denn wer zeigt sich schon gerne verletzlich, schwach und erzählt vom Rumheulen. Aber so ist es beim Weitwandern (im Leben) und wenn ich nur erzählen würde, wie schön und toll es ist, dann wäre es einfach nicht die Wahrheit. Manchmal möchte ich am liebsten nach Hause. Und dann habe ich wieder krasse Via Alpina Glücksgefühle. Fazit: Ich bin jetzt seit zwei Monaten unterwegs und meistere die unterschiedlichsten Herausfoderungen. Da nicht mal einen „bad-day“ oder eben „week“ zu haben, wäre doch nicht normal :).

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3 Comments

  • Reply
    Fränzi
    3. August 2020 at 7:48

    Der Kettensägenmörder!! Christina, ich bin total mit dir 😀 😀 Mach mir auch jedes Mal ins Hösschen, selbst wenn wir zu zweit im Wald im Zelt sind … Ich zieh sowas von den Hut vor dir, ganz ehrlich. Finde es sehr mutig, auch so ehrlich über deine Tiefs zu schreiben. Das gehört leider auch dazu, aber du hast nicht aufgegeben und gehst deinen Weg. Schicke dir ganz viel Kraft aus der Schweiz und bin so gespannt, was du alles noch erlebst – keep going!
    Liebe Grüsse, Fränzi

  • Reply
    Lischer Erika
    4. August 2020 at 20:58

    Liebe Christina
    Ich finde es ausserordentlich mutig, wie du mit deinen Emotionen umgehst. Du bist eine sehr starke Frau, wirst viel Kraft fürs Leben erhalten. Ich freue mich für dich und sende dir gute Gedanken.
    Liebe Grüsse
    Erika

  • Reply
    Eva
    11. August 2020 at 17:08

    Liebe Christina,
    ich kann dich soo gut verstehen und bin echt froh, dass es draussen in der Natur by night auch andere gibt, die sich fürchten. Auch ich kenne den Kettensägenmörfer und habs bis jetzt noch nicht geschafft alleine mit dem Zelt loszuziehen. Und ich spiele mit diesem Gedanken seit zwei Jahren. Dein Blogg ermutigt mich! Merci vielmals für deine ehrlichen Berichte und dass du uns an deinen Gedanken teilhaben lässt. Wiiter so und du schaffsch das!
    Eva

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