Obwohl es meine zweite Abreise war, war ich dieses Mal nicht weniger gestresst. Für die Pausenwoche hatte ich mir zu viel vorgenommen und so packte ich am Sonntag alles hektisch zusammen und erledigte, was noch zu tun war. Kurz nach 16.00 Uhr holte mich mein Bruder Andri ab und wir fuhren gemeinsam mit dem Auto nach Visp. Da er seit dieser Woche wieder auf dem Schnee trainiert, musste er nämlich nach Saas-Fee im Wallis. Ideal für mich. Nach etwa einer Stunde, war mir aber schon ziemlich schlecht vom Autofahren und ich träumte schon von einer entspannten Zugfahrt. Deshalb nahmen wir beim Furkapass den Autoverlad und mein Magen konnte sich vom doch eher sportlichen Fahrstil meines Bruders erholen. Danach ging es etwas besser und so assen wir in Visp gemeinsam einen schnellen Znacht. Es gab für beide einen Quinoa-Burger, da wir Vegis sind. Gegen 20.00 Uhr bin ich im selben Hotel angekommen, wie am 30. Mai 2020 – also wie am Abend vor meinem ersten Via Alpina Tag. Ich dachte, dieses Mal werde ich total entspannt dort ankommen. Aber falsch gedacht. Komischerweise war ich erneut nervös, aber definitiv nicht mehr so sehr wie am Starttag.
Am Montagmorgen um 05.00 Uhr läutete der Wecker und ich bemerkte ein fieses Kratzen im Hals. Während der Autofahrt am Abend davor war es heiss und die Klimaanlage deshalb an. In der Nacht liess ich das Fenster weit offen und nun bezahlte ich meine Unachtsamkeit mit Halsweh. Nicht gerade ein guter zweiter Start. Ich nahm den Zug nach Vernayaz und als ich ausstieg, wanderte ich in die andere Richtung als beim letzten Mal. Der erste Teil führte nach Martigny und dann in die Höhe durch den Wald. Mein Freund berichtete mir, dass er auch krank sei mit Halsschmerzen, Husten und Schwindel. Da wurde ich leicht unruhig. Wir beide am Kränkeln und er sogar mit Husten und Schwindel. Das Wort hing so gross in der Luft. Es war nicht zu ignorieren. Corona. Jetzt hat es uns erwischt! Dachte ich zumindest. Ich spinnte diverse Theorien und verfluchte mich, dass ich meine Grossmutter vor meiner zweiten Abreise besuchte. Natürlich habe ich in der Pause einige Freunde getroffen und war sogar an einem Klassentreffen meiner Schulkameraden nach über 10 Jahren unseres Schulabschlusses (es gab nur coronakonforme Begrüsssungen – trotzdem). Mein Freund machte einen Coronatest und ich überlegte mir, was es bedeuten würde, wenn dieser positiv wäre. Denn dann wäre ich das wohl auch. Abbrechen? Zurückreisen? Wie überhaupt? Quarantäne? Mein Zustand verschlechterte sich. Ohne euch jetzt hier lange auf die Folter zu spannen: Das Testergebnis kam einen Tag später und war negativ. Und sobald ich wusste, dass es kein Corona war, erlebte ich eine Blitzheilung. Alles im Kopf! Ich bin bei solchen Sachen total paranoid! Und ist ja auch verrückt, dass man im Jahr 2020 keinen Schnupfen haben kann, ohne gleich das aller Schlimmste zu erwarten.
So zurück zum Anfang und zu meinem Abenteuer noch vor der erlösenden Nachricht des negativen Coronatests. Ich kam auf der Strecke von Martingny über einen grösseren Hügel und dann nach Sembrancher – ein kleines Dorf. Von dort lief ich noch nach Orsieres. Weil ich nicht so fit war, lief es mit dem Wandern etwas mühsamer als sonst. In Orsieres angekommen, nahm ich den Bus nach Champex, da es dort einen Camping hatte. Der Grund wieso ich nach Champex ging, war ein weiteres „Blind-Date“. Nach der ersten Woche auf der Via Alpina, postete ich den Premiere-Blogpost auf der Via Alpina Facebook Gruppe. Einige kommentierten mein Vorhaben „von“ Trieste nach Monaco zu laufen und damit hatte es sich. Vor zwei Wochen aber schrieb mir Paul, ein Franzose der in Canada lebt. Er sagte, dass er seit der ersten Woche jeden Blogpost von mir mit Hilfe von Google Translate auf Englisch lese und, dass er nun aufbreche für eine selbstgeplante Strecke vom Berner Oberland nach Monaco. Somit war die Chance gross, dass wir uns wortwörtlich über den Weg laufen. In Martigny hatten wir uns knapp verpasst und so machten wir in Champex auf dem Camping ab. Wegen meiner Corona-Panik achtete ich jedoch penibel auf genügend Abstand. Es war mega cool jemanden zu treffen, der erstens meinen Blog liest und nun auch am Wandern ist. Man fühlt sich sofort verbunden. Er wusste ganz genau über alles Bescheid und konnte sich die lustigsten Sachen aus meinen Blogposts merken. Paul war aktuell mit seinem Kumpel Alex (auch Franzose) unterwegs und die beiden hatten einen halben Frucht- und Gemüsestand dabei. Alles von unterwegs, beispielsweise vom Boden aufgelesene herrliche Birnen. Als wir am Quatschen waren, kam ein Typ vorbei der irgendwas über das Zelt meiner Nachbarin sagte. Es war eines von Z-Packs, so ein ultra leichtes, welches man mit den Wanderstöcken aufstellt und optisch immer ein bisschen krüpplig aussieht. Ich sagte darauf ganz naiv: „Oh yeah and you know, they are sooo expensive!“ Und dann gings los! Der Typ (aus Deutschland) war grad beleidigt. Er stellte klar, dass er das sehr wohl wisse, er habe alles von Z-Packs, ausser sein MSR Zelt, das wären die Besten und ausserdem war er auf dem PCT! Dann lief er bei meinem Zelt vorbei und sagte, MSR ist super, aber dieses Zelt hier ist „Shit“. Er lief weg und ich sagte noch, „okaaay…, mein Zelt ist nicht so shit :(„. Irgendwie ist der PCT (oh sorry, voll vergessen zu erklären: Pacific Crest Trail – Weitwanderweg in Amerika über 4000km) anscheinend der Massstab und das grosse Ziel eines Weitwanderers. Vorher hat man wohl keine Ahnung. Auch egal, ich muss ja nicht in den Longdistancehiking-Olymp aufsteigen. Jedenfalls ist mir auch klar, dass es mittlerweile bessere Modelle als mein MSR Hubba NX gibt. Da kommt nämlich jedes Jahr ein robusteres und leichteres raus. Aber Meines hab ich seit 4 Jahren und kann mir auch nicht ständig ein Neues leisten. Aber diese ganz kurze Konversation hat mir schon abgelöscht. Wieso muss es immer so ein Vergleichen sein, sogar beim Wandern! Klar ich bin auch stolz, dass mein Rucksack verhältnismässig klein und leicht ist und habe das öfters im Blog erwähnt. Aber also dieser Typ war mir höchst unsympathisch. Nun was solls. Anscheinend ist der Weitwanderer aus Deutschland nämlich sehr interessant. Die Jungs haben beide noch mit ihm geplaudert und mir erzählt, dass er nach dem PCT nicht mehr Zuhause war und seit 1.5 Jahren nur noch wandert. Ausserdem verzichtet er komplett auf Elektronik – also kein Handy und kein Gps. Schon eindrücklich.
In der Nacht in Champex habe ich sehr gefroren. Ich fühlte mich echt nicht gut und konnte deshalb kaum schlafen. Am Morgen um 07.00 Uhr liefen wir zu dritt zum See, wo wir frühstückten, bevor ich mich verabschiedete, um mit dem Bus wieder nach Oriseres zurückzukehren. Dort suchte ich eine Apotheke und kaufte etwas gegen Halsschmerzen. Mir war gar nicht wohl und ich hatte so kalt! Deshalb ging ich in ein Hotel und trank bei der Bar eine heisse Schokolade. Der Besitzer, ein älterer Herr, kam zu mir und fragte, ob alles okay sei. Ich sagte ihm, mir sei einfach so kalt und ich wäre nicht ganz fit. In Zeiten von Corona ist es nicht lustig in der Öffentlichkeit krank zu sein. Und dazu kommt, dass man nie mit Sicherheit ausschliessen kann, dass man kein Corona hat – total belastend. Ich hatte mir auch drei Mal überlegt, ob ich überhaupt in das Lokal darf..?! Der nette Wirt vom Hotel Union holte eine Karte und fragte, wo ich unterwegs sei. Ich sagte, dass es nicht auf der Karte sei. Dann wollte er mehr wissen und ich sagte, dass ich die Strecke Trieste – Monaco laufe und jetzt bei ungefähr 1600 Kilometer bin. Er staunte nicht schlecht und als ich nach einem Tee fragte, meinte er ob ich denn immer noch fror. Dann machte er mir eine vegetarische Buillion Suppe und zwang mich diese um 09.00 Uhr zu essen. Als ich ging kam er nochmals zu mir und schenkte mir einen Bernhardiner mit Schweizerkreuz als Schlüsselanhänger. Ein Glücksbringer. Ich war gerührt und irgendwie ging es mir dadurch schon ein bisschen besser. Ich lief eine Strecke von ca. 4 Stunden in etwa 7 Stunden. Deshalb stellte ich meinen Plan um und steuerte den letzten Schweizer Camping an. Das hiess jedoch, dass ich meine Etappe halbierte und somit in Rückstand bei der Etappenplanung geriet. War mir aber egal. Der Camping in Bourg St.Pierre war super und die Gastgeber sehr freundlich. Auch hier wurde ich gefragt von wo bis wo ich lief und bekam daraufhin ein Getränk spendiert. Am Nachmittag kam dann endlich die Erlösung: Kein Corona bei meinem Freund, also alles gut und „Zack“ erlebte ich, wie bereits erwähnt, eine Wunderheilung. Ich ging in ein kleines Restaurant und ass ein Fondue bevor ich schlafen ging.
Der Mittwoch startete viel besser. Ich hatte zwar immer noch einen kratzigen Hals und war verschnupft, aber ich hatte wieder Energie! Es erinnerte mich ein bisschen an meine Nepal-Wanderung. Ich lief den sehr schönen Weg bis zum grossen St. Bernardpass in ca. 4 Stunden und ass etwas, bevor ich das Museum besuchte. Kultur ist nicht so mein Ding, aber zum Museum gehörten auch die Zwinger der Bernadinerhunde, die hier früher von den Mönchen gezüchtet wurden. Allgemein ist der Pass wirklich sehr spannend und auch Barry, der erste Lawinenhund schrieb hier oben Geschichte indem er damals viele Leute aus den Lawinen gerettet hatte und nun die Lawinenverschüttetensuchgeräte Barryvox heissen. Der Pass wurde erstmals namentlich von Julius Cäsar erwähnt. Das muss man sich mal vorstellen: Man wandert Strecken, wo schon vor über 1000 Jahren die Römer durchgelaufen sind. Das erklärt wohl auch weshalb ich unterwegs einen Mann mit Metalldetektor gesehen habe.
Nach meinem Museumsbesuch lief ich über die Grenze nach Italien nach St. Rhemy und dann nach St. Leonard. Dort kam ich zum aller ersten Mal an Trail Magic vorbei! Das war soooo cool! Trail Magic bedeutet, dass jemand Wanderer gratis versorgt. Also in diesem Fall hatte es ein Schild, welches zur Garage zeigte und dort gab es kalte Getränke, Kaffee, Tee und Gebäck! Alles umsonst, aber es gibt auch eine Spendedose. Wenn bei mir am Haus ein Weitwanderweg durchführen würde, würde ich auch so etwas machen. Es gab noch ein Buch, wo alle Wanderer eine Dankesnachricht hinterliessen. Ich fand aber niemand, der die Via Alpina machte (oder es zumindest nicht hinschrieb). Mein Plan war von St. Leonard nach St. Oyen zu laufen, wo es einen Camping gab. Auf dem Wanderweg stand, dass es aber nochmals 50 Minuten sind. Da St. Oyen nicht auf dem Weg lag, war mir das ein zu grosser Umweg und ich entschied mich fürs Wilcampen und machte mich um 17.00 Uhr auf den Weg zum zweiten Pass auf 2400 Meter über Meer. Der Anstieg von erneuten 1000 Höhenmeter war für mich ein Klacks. Ich hatte richtige Energieschübe und fühlte mich stark. Eigentlich wollte ich noch vor dem Pass übernachten, aber das Wetter war (noch) recht gut und so kam ich um 20.00 Uhr auf dem Pass an, lief schnell zur Alp runter und verzog mich in den Wald, um möglichst schnell das Zelt aufzubauen. Um 21.30 Uhr war ich im Zelt und verzichtete schlussendlich aufgrund der Müdigkeit aufs Kochen.
Der vorherige Tag war sehr lange und anstrengend und dieser Tag sollte erneut hart werden. Doch es wäre einer der letzten extrem strengen Tage. Das Problem war nämlich, dass ich aufholen musste, weil ich krank war und weniger Kilometer zurückgelegt hatte. Zusätzlich schlug das Wetter am Wochenende massiv um und ich hatte noch einen hohen Pass über die französische Grenze vor mir. Also lief ich von der Alp Jovencan nach Vedun, wo ich den Mont Blanc zum ersten Mal in meinem Leben sah. Dann liefe ich nach Cerellaz und machte eine erste kurze Pause. Später verirrte ich mich auf den Wanderwegen und musste durch den Wald, Gebüsche und eine kleine Felswand. Die Dornen hatten meine Beine blutig gekratzt und meine Haare waren voll mit Blättern und kleinen Ästchen. Es war sehr heiss, als ich gegen 12.00 Uhr zuunterst im Tal war, den Fluss überquerte und von Runaz biz zum Monte Colombo aufstieg. Eigentlich hatte ich irgendwie gedacht, dass es wieder ein leichter Aufstieg wird, wie am Vortrag. Aber Nichts gewesen. Ich kämpfte mich sage und schreibe ganze 20 Minuten durch, bis ich die erste Pause machte. Dann nochmals 30 Minuten, nächste Pause. Es war ein mühsamer, steiler, erdiger Weg. Ich mag Stufenwege viel lieber. Also nicht eine „Treppe“, sondern kleine Absätze im Weg aus Steinbrocken. Jedenfalls riss ich mich irgendwann zusammen und zog durch bis zum „Gipfel“ auf 1800 Meter über Meer. Der Weg wurde extrem schön und ich kam nach Baulan, wo ich gefühlt den gesamten Brunnen leer trank. Ich setzte mich hin und dann kam um eine Ecke des leeren, kleinen Mini-Alpdörfli ein Bauer daher. Wir redeten ein bisschen miteinander und sprachen ein totales Mischmasch aus Französisch und Italienisch. Aber ich kann diese beide Sprachen eh nicht mehr trennen, daher passt das prima. Der Bauer war wahrscheinlich nicht älter als 40 und erzählte mir, dass er Marrokaner sei und seit 25 Jahren hier in Italien lebt. Daher sein Sprachmix. Ausserdem meinte er, die Berge in Marroko wären höher als der Mont Blanc. Faktencheck: Habe es kurz gegooglet und die Berge sind zwar über 4000 Meter, aber der Mont Blanc überragt sie. Aber vielleicht habe ich das ja auch einfach falsch verstanden. Ihm war im Gegensatz zu mir gar nicht heiss und er fragte, ob ich ernsthaft die Füsse in dieses kalte Wasser halten kann. Musste ich natürlich demonstrieren. Danach ging ich weiter – vorbei an zwei kleinen Dörfern im Abstieg und dann eine lange Strecke das gesamte Tal hindurch bis nach Valgrisenche. Ich kam unglaublich erschöpft an und suchte den Camping, bzw. den Platz, wo man campieren darf. Doch dort war alles verlassen und irgendwie geschlossen. Der nächste Platz zum Campieren war nochmals viel weiter weg und in der falschen Richtung meiner Route. Daher drehte ich um, lief zurück ins Dorf und wollte zur Unterkunft le Vieux Quartier. Das ist eine typische Via Alpina Herberge, aber auch diese war geschlossen. Deshalb drehte ich wieder eine Runde im Dorf (konnte kaum mehr laufen) und fand nichts, was offen war und die Touristeninformation war seit 4 Minuten geschlossen. Zurück zu den anderen Dörfern, weiter zurück wollte ich nicht mehr, denn es war ja auch schon 19.00 Uhr. So entschloss ich mich zu der Herberge oberhalb des Dorfes zurückzulaufen. Diese war komplett verlassen und hatte eine grosse Grasfläche. Also wollte ich dort relativ versteckt zelten. Denn heute war ja der letzte Tag mit gutem Wetter, daher sollte das kein Problem sein. Da aber Gewitter im Anmarsch waren, rief ich im Refuge d’ Archeboche an, um in der kommenden Nacht einen sicheren Schlafplatz zu haben. Zuerst erreichte ich niemand und danach sagte man mir nur, dass die Hütte geschlossen ist. Ich rief bei der nächsten Hütte an, die eigentlich schon viel zu weit entfernt war, aber eine Wahl hatte ich nicht wirklich. Doch die war auch geschlossen! Dabei hätte ich eine schützende Unterkunft wirklich dringend gebraucht. Dann sass ich da, verzweifelt, wo ich morgen hin soll und auch irgendwie unzufrieden mit der Wahl des heutigen Schlafplatzes. Verzweifelt war vielleicht sogar etwas untertrieben. Da ich körperlich so am Ende war, machte mich das alles ziemlich fertig. Denn eigentlich wäre die kommende Tagesetappe endlich eine Kurze gewesen und ich hatte mich so gefreut! Nur 7 Stunden und ich würde bestimmt vor dem grossen Regen in der Hütte ankommen. Die Realität sah aber anders aus. Bei Gewitter wollte ich nicht mehr im Zelt schlafen und daher war die einzige weitere Möglichkeit ein Hotel im Tal. Das bedeutete wiederholt einen Wandertag mit über 10 Stunden und 600 Höhenmeter Abstieg für gar nichts. Die musste ich dann am Folgetag wieder aufsteigen. Trotzdem war es die einzige Lösung und ich war frustiert, dass nochmals so ein strenger Tag anstand und auch klar war, dass es unmöglich war, vor dem Wetterwechsel dort anzukommen. In meiner Verzweiflung und Neugier checkte ich von aussen die Herberge ab und bemerkte, dass eine Tür ganz hinten offen war. Natürlich ging ich hinein und sah mich um. Es war ein grosser und langer, leerer etwas unheimlicher Saal. Und am anderen Ende ein halb funktionierendes Bad. Ehrlich gesagt musste ich nicht mehr lange überlegen und verlegte mein Lager in diesen Saal. Es war klar, dass es eine kalte und stürmische Nacht wird und ich wieder sehr früh starten musste. Daher war eine Nacht dort drinnen komfortabler als im Zelt und ich würde mir den Auf- und Abbau ersparen. Ausserdem war ich einfach zu müde. Ich machte mein Lager bereit und legte mich hin. Obwohl ich kaum was gegessen hatte, konnte ich mich nicht mehr aufraffen etwas zu kochen. Ja ja ich weiss, das ist der Oberfehler! Man sollte immer etwas warmes Essen, wenn man so am Ende ist. Aber ich konnte einfach nicht mehr und es war mir alles egal. Ich versuchte zu schlafen und alle Geräusche auszublenden. Natürlich hatte ich etwas Angst, in einem staubigen verlassenen Gebäude zu schlafen.
Die Nacht war eigentlich sehr gut! Ausser dem Wind, der am Dach rüttelte war es mucksmäuschenstill. Als der Wecker läutete war es draussen noch komplett dunkel. Ich machte mich bereit für den Abmarsch, aber es wollte einfach nicht Tag werden. Ich wartete etwas, da ich nicht im Dunkeln los wollte, sondern wenn es langsam hell wird. So komplett im Dunkeln im Wald zu wandern macht mir Angst. Kurz nach 06.00 Uhr lief ich los und trotz der Erschöpfung von den anstrengenden Tagen und der Erkältung kam ich super voran. Das machte mich wieder einmal sehr stolz auf meinen Körper, der mich eigentlich immer wieder überrascht und anscheinend verdammt viel wegstecken kann. Ich hatte ein flottes Tempo drauf und machte nach 2 Stunden eine erste kurze Pause, als mich die Sonnenstrahlen erreichten. Es war ein sehr schöner Morgen. Der Weg bog dann in ein Tal ab und ich konnte den Pass zwischen den vielen Schneefeldern und hohen Gipfeln erblicken. Nochmals zwei Stunden später pausierte ich erneut. Die Sonne schien und ich zog mein Oberteil zum Trockenen aus. Nur 2 Minuten später spürte ich die ersten Tropfen, packte alles zusammen und schon regnete es richtig. Mist, genau während dem Passanstieg! Etwas nervös beobachtete ich den dichten heranziehenden Nebel. Die ingesamt 1700 Höhenmeter waren auf 2600 Meter über Meer geschafft und ich stand auf der Grenze zwischen Frankreich und Italien. Es kam sogar noch einmal die Sonne raus und ich machte mit dem Selbstauslöser ein Foto. Ich war sehr froh mein Ziel erreicht zu haben. Den Pass ins Tal nach Frankreich war somit vor dem ersten Schneefall geschafft. Für die nächsten drei Tage war nämlich starkes Regenwetter angesagt. Vom Pass lief ich bis zum Refuge d’ Archeboche, zog meine Regensachen an und lief ins Tal zum gebuchten Hotel. Der unnütze Abstieg nervte mich etwas, aber ich freute mich auf eine Dusche, ein Bett – und etwas Richtiges zu essen! Zur Motivation hörte ich auf dem Forstweg noch ein bisschen meine Via Alpina Spotify Playlist. Es regnete etwa 2 Stunden und ca. 30 Minuten vor dem Ziel fing‘s auch an zu Gewittern. Aber ich war ja nicht mehr ausgesetzt unterwegs und somit war mir das egal. Angekommen im Hotel war ich super glücklich und genoss den Abend.
Regen, Nebel, Wind und Kälte. Der Samstag sollte ein mieser Tag werden und so war es auch. Der Aufstieg zurück zum Weg motivierte mich auch nicht gerade. 600 (unnötige) Höhenmeter (+ die, die eh auf dem Programm standen) mit Regenbekleidung sind mühsam. Man ist innen nass und aussen bleibts ja auch nie 100 % trocken. Aber was solls, da musste ich nun durch. Die Alternative wäre gewesen auf der Hauptstrasse zu laufen, aber das ist mir viel zu gefährlich. Die 6 Stunden sind ja keine Ewigkeit und so biss ich auf die Zähne und lief sehr langsam, um nicht so stark zu schwitzen. Nach ca. 2 Stunden kam ich zu einem kleineren Dorf namens Boconseil mit Skiliften und hoffte auf einen trockenen Ort. Aber alles war völlig ausgestorben. Dann traf ich eine Frau, die mich in den Kinderhort liess, um mich dort umziehen zu können. Sie erklärte mir, dass die Saison seit gestern vorbei ist und nichts mehr offen hat. Mit einem neuem trocknenen Shirt lief ich weiter und ehrlich gesagt gibt’s nicht mehr viel zu erzählen. Ich fror die ganze Zeit, es windete mir die Pelerine um die Ohren, und ich sah selten etwas von der Landschaft. Aber ich kam in Les Brevieres an und bezog in einem kleinen Berghotel mein Zimmer. Ich trocknete mit dem Föhn meine Sachen und freute mich wieder aufs Essen.
Die Woche war zu Ende und ich hatte erfolgreich gegen eine Erkältung, viele Höhenmeter und schlechtes Wetter gekämpft. Mittendrin macht es manchmal nicht so Spass – muss ich ganz ehrlich sagen. Aber ich weiss ja, dass es wieder besser wird und im Nachhinein sind die Herausforderungen, die man gemeistert hat immer die stolzesten und bleibendsten Momente, auf welche man gerne zurückblickt. Hat ja niemand gesagt, dass die Via Alpina einfach sein wird. 😉 Aber ich bin definitiv an meine Grenzen gekommen und kann mich nicht erinnern, wann ich jemals körperlich so erschöpft war. Aber keine Angst, meine Batterien sind schon wieder am Aufladen.
1 Comment
Andrea Kofmel
14. Oktober 2022 at 20:49Hallo Christina
Mit grossem Interesse und Begeisterung habe ich einige deiner Blogs und nun dein Buch gelesen.
Ich möchte im nächsten Jahr ( ich werde 50 Jahre alt ) zusammen mit meinen beiden Hunden, trotz einiger gesundheitlicher Probleme, die via Alpina Schweiz in Angriff nehmen.
Ich würde mich über eine Kontaktaufnahme deinerseits riesig freuen und wäre dankbar für einige Tips ( es sind doch noch einige Fragen offen )..
Liebe Grüße Andrea