VIA ALPINA

Interview mit Hermann: Eine ungewöhnliche Wanderfreundschaft

Eine ungewöhnliche Wanderfreundschaft der roten Via Alpina 2020

Auf meinem Blog habe ich im Sommer 2020 über meine verschiedenen Wanderbekanntschaften erzählt. Hermann, der ältere, sehr ausdauernde Fernwanderer aus Deutschland, hat sich bei vielen Lesern auffallend gut eingeprägt. Neben der Frage: «Wie schwer war dein Rucksack», werde ich auch oft über Hermann ausgefragt. Unsere Freundschaft ist aussergewöhnlich und hat meine Wanderung auf der Via Alpina bereichert. Und weil Hermann ein sehr bodenständiger Mensch mit vielen interessanten Geschichten ist, habe ich ihn gefragt, ob ich ihn interviewen dürfe. Denn seit meiner Rückkehr der Via Alpina im Oktober 2020 sind wir in Kontakt geblieben. So hören wir uns etwa alle zwei Monate via Telefon und tauschen uns aus, was gerade so läuft. Im Sommer 2021 hat mich Hermann sogar in Flims besucht, da ich so lange von meiner Heimat vorgeschwärmt habe. Gemeinsam waren wir wandern, haben die Rheinschlucht bestaunt, über die Via Alpina gequatscht, bei einer Kuchenpause hat Hermann mir die wichtigsten Schachstrategien beigebracht (er hat jede Woche seit vielen Jahren Schachunterricht) und sind im Caumasee geschwommen.

Hermann und seine vielen Fern- und Weitwanderungen

Wer sich erinnert, der weiss das Hermann Fernwanderer und Weitwanderer deutlich unterscheidet. Ein Fernwanderer, so erklärt er mir im Sommer 2020, ist eine Person, die beim Wandern Landesgrenzen überschreitet. Eine Weitwanderung ist hingegen einfach eine längere Wanderung, z.B. schon ab sieben Tagen. Als ehemaliger Lehrer, nimmt er es mit diesen Bezeichnungen sehr genau. Erst da wurde mir bewusst, dass ich somit wohl eine Fernwandererin bin, nicht eine Weitwandererin.

Hermann hat aktuell insgesamt ca. 35’000 Kilometer beim Wandern zurückgelegt (er zählt die Kilometer seit 1978 auf seinen Weit- und Fernwanderungen). Und dies vor allem in Europa. Er ist sozusagen ein Fernwanderer-Profi und hat zu Fuss schon viel mehr gesehen als viele mit dem Auto oder Flugzeug. Eine ganze Liste an Wanderungen hat er in seinem Notizbuch aufgelistet, darunter auch alle, der insgesamt fünf Via Alpina’s. Letzten Sommer 2021 hat er dieses Projekt mit dem Abschluss der blauen Route erfolgreich beendet. In meinem Buch «VON WEGEN» kommt die Zufallsbekanntschaft mit Hermann natürlich auch vor. Da wir ganz unterschiedliche Ansätze haben, um eine Langstreckenwanderung zu gehen, wollte ich mehr über seine Gründe und Motivation herausfinden:


Das Interview

Wie kamst du zur roten Via Alpina, wo wir uns schlussendlich in Tignes kennenlernten?

Als ich im Frühjahr 2004 auf dem Sentiero Italia von Triest nach Ventimiglia wanderte, benutzte ich die Route der GTA (Grande Traversata delli Alpi). Im dazugehörenden Wanderführer las ich darin zum ersten Mal vom Via Alpina Projekt. Danach habe ich mir aus dem Internet die vorgeschlagenen Etappeneinteilungen besorgt.

Zusatzinfo: Die Via Alpina gibt es erst seit ca. 20 Jahren.

Was sind deine Gründe fürs weite Wege wandern?

Unterwegs sein, sich frei fühlen, ungebunden sein, sich auf Wesentliches besinnen, wandern als Abenteuer, Stimmigkeit mit sich und der Natur erleben, erleben der Naturelemente, Sinneserlebnisse, Erfahrungen in der körperlichen Betätigung, erleben der verschiedenen Kultur- und Landschaftsräume (Dörfer, Städte, Parks und Menschen).

«Wandern ist für mich pure Selbstverwirklichung!», .

Was sind deine nächsten Wunschziele?

Wandern in Irland, Apennin Wanderung, noch ausstehende Dolomitenhöhenwege und kürzere Wanderungen in Süddeutschland.

Was hat dich auf deinen bisherigen Touren am meisten berührt?

Die schönsten Erlebnisse waren intensive Naturschauspiele in Verbindung mit bestimmten Wettersituationen und gelegentlich auch Begegnungen mit Menschen. Meine letzte Wanderung, auf der blauen Via Alpina genoss ich sehr, wegen der Nähe und dem Ausblick auf den Berg Monte Viso.

Kannst du die verschiedenen Via Alpina’s etwas beschreiben in welcher Form sie jeweils aussergewöhnlich sind?

Gelbe:Der höchste Punkt der Via Alpina ist auf 3019 Metern in der Nähe der Ötzi-Fundstelle. Die Dolomiten-Traverse ist ein Kontrast im Vergleich zum eisigen Gelände der Ötztaler Alpen.
Violette:Ein grosser Bogen durch die Ostalpen mit vielen bayerischen Königsschlössern am Weg.
Grüne:Entlang der eindrucksvollen Alpenpassroute in der Schweiz mit Blick auf eisige Drei- und Viertausender wie beispielsweise das Berner Dreigestirn: Eiger, Mönch und Jungfrau.
Blaue:Ist etwas wilder, im unbekannten Südwester der Alpen auf exotischen Wegen. Der Monte Viso als imposanter Herrscher der Region und es bietet einen schönen Kontrast zum Hochgebirge und Méditerranée. Archaisch wirkende Bergtäler.
Rote:Mehrfache Überquerung des Alpenhauptkamms, imposante Bergkulissen, Sextner Dolomiten, Aletsch Region, Mont Blanc Massiv.. und man durchläuft alle acht Alpenstaaten.

Dein Fazit:

Die rote Via Alpina war für mich der schönste und beeindruckendste Weg, weil er durch alle Alpenregionen führt und man dadurch die besonderen Charakteristiken der einzelnen Regionen erlebt und dadurch ein Gesamtbild der Alpen erhält. Die anderen Wege waren nur an einem bestimmten Teil der Alpen.

Erzähl mal etwas über deine Wanderphilosophie:

Es ist mein persönlicher Anspruch, einem markierten Weitwanderweg von A nach B ohne Abweichung aus eigener Kraft zu folgen. Ich habe immer wieder grosse Freude, mich einer ausgewiesenen Route hinzugeben und ihr konsequent zu folgen. Eine Umgehung oder Kürzung geschieht bei mir nur in besonderen Situationen (verlaufen, Streckensperrung, zeitliche Umstände). Ich sehe mich hier eher als einen Puristen, einen Menschen mit einem stark empfundenen Streben nach Stilheit. Daher kommt eine Kürzung oder Abweichung der Route für mich kaum in Betracht.

Christina: Eine Anmerkung von mir dazu, weil Hermann und ich hier sehr verschieden sind. Ich habe als erste Priorität das Erlebnis in der Natur im Fokus, dass es mir gefällt und es mir gut geht (Sicherheit). Ich umgehe, kürze, wenn ich mich unsicher fühle. Dafür kommt es für mich (aktuell) nicht in Frage, auch nur einen Meter mit dem Bus, Zug, Auto oder auch Fahrrad zurückzulegen. Das kann sich aber in einer misslichen Situation vielleicht noch ändern.

Mich fragen viele Leute, ob es nicht langweilig wird beim Wandern – was würdest du hier antworten?

Langweilig ist weitwandern für mich nie, weil die Natur für mich immer lebendig ist und das Gehen mich erfüllt. Solange ich gesund und kräftig bin, sehe ich kein Grund damit aufzuhören.

Wir haben es geschafft: In Monaco treffen Herman und ich uns zum Pina Colada trinken und er schenkt mir seine Via Alpina Karte.

Wie sieht deine Wanderroutine aus?

Es gibt für mich keinen festen zeitlichen Ablauf. Ich wandere immer aus der Situation heraus. Dauer und Ziel sind selten festgelegt. Fixpunkte sind Hütten und Gaststätten zur Nahrungsaufnahme und zur Ruhezeit. Meist wandere ich bis zur einbrechenden Dunkelheit und schaue, was mich erwartet. Auch der morgendliche Aufbruch und die Rastzeiten sind situationsbedingt. Seit ich jedoch ein Zelt habe (seit Sommer 2021, das gleiche wie Christina – da sie mir die Vorzüge schmackhaft machte und wegen geringem Gewicht) ist es wieder viel unkomplizierter. Ich kann nun fast überall nächtigen und bin nicht mehr darauf angewiesen, täglich einen Unterstand zu finden.

Christina: Wieder ein grosser Unterschied. Ich wandere selten bis zur einbrechenden Dunkelheit, da ich mit dem Zelt immer bei Tageslicht (ca. 18.00 Uhr anhalte) um meine Abendroutine (Zelt aufstellen, kochen, mich waschen) vor der Dunkelheit erledigen kann, da ich zu viel Angst hätte diese in der Dunkelheit zu machen.

Wie wichtig sind für die Begegnungen unterwegs mit anderen Weitwander:innen?

Für mich ist es sehr interessant unterwegs mit anderen Wanderer:innen in Kontakt zu kommen und sich auszutauschen. Dabei bewundere ich diese immer, weil sie auch diese Art des Wanderns pflegen. Das du die erste Person warst, die wie ich zur gleichen Zeit auf solch einer Strecke unterwegs war und ich dich daher kennenlernte, war ich besonders beeindruckt von deinem Vorhaben, als ich die näheren Umstände erfuhr (alleine, mit Zelt, in einem Sommer).

Was würdest du künftigen Wannder:innen auf den Weg geben?

Ich finde, dass ich da nicht wirklich Ratschläge geben kann, weil jeder für sich schauen muss, was richtig für die Person ist und worin er oder sie sich stimmig fühlt und auch wo seine Motivation liegt.  Vielleicht ein Tipp: Kein zu schwerer Rucksack. Das Gehen sollte schmerzfrei sein und Freude bereiten, was mit schwerem Rucksack weniger der Fall sein wird.

Ein Teil von Hermanns Wander-Abenteuern: (vielleicht auch eine Inspiration für künftige Wanderungen)

Hermann am zweiten Tag unseres Kennenlernens, nach Tignes.
  • 1990: E1, von der Nordsee ans Mittelmeer in 120 Tagen, 2200 Kilometer
  • 1992/93: Kungsleden, der Königsweg in Schweden in 21 Tagen, 430 Kilometer
  • 1995: E5, vom Bodensee nach Verona in 39 Tagen, 520 Kilometer
  • 1995: AV Monti Liguri in 25 Tagen, 440 Kilometer
  • 1999: E4 (voralpin) vom Bodensee nach Salzburg in 10 Tagen, 320 Kilometer
  • 2000: E4 Weiterführung von Salzburg nach Neusiedlersee in 28 Tagen, 700 Kilometer
  • 2001: E4 Weiterführung vom Bodensee zum Genfersee in 15 Tagen, 320 Kilometer
  • 2002: E4 Weiterführung vom Genfersee nach Carcassone in 35 Tagen, 780 Kilometer
  • 2003: Traumpfad von München nach Venedig in 38 Tagen, 550 Kilometer
  • 2004: Sentiero Italia von Triest nach Ventimiglia in 108 Tagen, 1600 Kilometer
  • 2005: Wien nach Triest in 27 Tagen, 750 Kilometer
  • 2006: O3 Südalpenweg von Bad Radkersburg nach Silian in 20 Tagen, 500 Kilometer
  • 2007: Rheinsteig von Wiesbaden nach Bonn in 10 Tagen, 330 Kilometer
  • 2007: 06 Mariazeller Wege von Nebelstein, Mariazell nach Eibiswald in 17 Tagen, 470 Kilometer
  • 2008: 08 Eisenwurzenweg von Nebelstein nach Seebergsattel in 20 Tagen, 540 Kilometer
  • 2008: 05 Nor-Südweg von Nebelstein nach Eibiswald in 21 Tagen, 510 Kilometer
  • 2013: 02 Zentralapenweg von Obertauern nach Feldkirch in 25 Tagen, 625 Kilometer
  • 2014: 02 Zentralalpenweg von Niedere Tauern, Rätikon nach Feldkirch in 31 Tagen, 600 Kilometer
  • 2015: Alpe Adria Trail (darauf bin ich auch kurz gelaufen, während Via Alpina bei Regen) von Grossglockner nach Triest in 28 Tagen, 650 Kilometer
  • 2016: Via Alpina gelb in 40 Tagen, 785 Kilometer
  • 2017: Via Alpina violett in 55 Tagen, 1075 Kilometer
  • 2017: GEA (Apennin) in 22 Tagen, 400 Kilometer
  • 2018: Via Alpina grün in 18 Tagen, 350 Kilometer (Tipp für Schweizer Leser: Wanderung für ca. 3 Wochen!)
  • 2018: Via Alpina rot (1 Teil) in 42 Tagen, 830 Kilometzer
  • 2019: Dolomitenhöhenweg 1 in 9 Tagen, 150 Kilometer
  • 2019: Via Alpina rot (2 Teil) in 43 Tagen, 795 Kilometern
  • 2020: Via Alpina rot (3 Teil) in 44 Tagen, 895 Kilometer
  • 2021: Via Alpina blau in 49 Tagen, 810 Kilometer

You Might Also Like

1 Comment

  • Reply
    Anna
    2. März 2024 at 10:35

    Spannend, danke für das Interview 🙂

Leave a Reply